16. Internationale Fachtagung zum Thema Tierschutz
(23.-25. Februar 2011)
Wüsste der Verbraucher, wie seine Lebensmittel entstehen, er würde in vielen Fällen darauf verzichten. Fleisch von Kälbern mit Eisenmangel ist als helles Kalbfleisch seit einem halben Jahrhundert in Mode. Dass die Tiere eigentlich nicht richtig ernährt werden, weiß der Verbraucher nicht. Genau so wenig weiß er, dass heute den meisten Kälbern in den ersten 14 Lebenstagen die Hörner ohne Betäubung mit einem glühenden Brennkolben entfernt werden. Ferkel werden ohne Betäubung kastriert, damit ihr Fleisch nicht nach Eber stinkt.
Aber wer meint, der Verbraucher wäre allein am Elend der Tiere schuld, der irrt. Es ist viel komplizierter. Bei der 16. Internationalen Fachtagung zum Thema Tierschutz an der Hochschule Nürtingen-Geislingen wurde das ganz deutlich. Obwohl nicht alle Tierarten besprochen wurden, die vom Menschen gehalten und genutzt werden, umfasst der Tagungsband über 400 Seiten.
Weil jede Tierart, ja manchmal sogar schon jede Rasse anders ist, gibt es eine ungeheure Vielzahl von Maßnahmen, die danach beurteilt werden müssen, ob sie dem Tierschutzgedanken entsprechen, der sehr vereinfacht fordert, dass dem Tier kein Leid zugefügt wird, das sich vermeiden lässt.
Hier zeigt sich eine Schwäche vieler Gesetze: Gesetze werden erlassen, wenn man einen Missstand abstellen will. Der Mensch handelt aber – wie man im Verkehr täglich erleben kann – nicht entsprechend den Gesetzen, sondern so, wie er meint sich verhalten zu sollen, weil es alle so machen. Nun haben aber solche Traditionen „Man tut so etwas nicht!“ in den letzten Jahrzehnten an Kraft verloren, sei es, weil man sich nicht mehr auf sie einigen konnte, sei es weil man den Wert verbindlicher Normen unterschätzt.
So entstanden immer größere Bereiche, in denen man sich mangels verbindlicher Wertvorstellungen frei fühlte zu tun, was einem beliebt. Aber das Schwierige an der Freiheit ist, dass man sie auch sinnvoll ausfüllen muss. Das kann offenbar nicht jeder. Und jene, die es nicht können, bräuchten eigentlich dringend allgemein verbindliche Normen und Werte. Was nicht heißen soll, dass man Traditionen ungeprüft übernehmen sollte. Nein, jede Generation muss die Traditionen der Eltern auf die Probe stellen, damit nur jene Traditionen weiter bestehen, die angemessen und brauchbar sind.
Tierschutz scheitert also nicht nur am mangelnden Wissen der Verbraucher, sondern auch daran, dass es an einer Übereinkunft fehlt, was man tun darf und was nicht. Das Gesetz ist leider in dem meisten Fällen nur ein Reparaturbetrieb für gesellschaftliche Entgleisungen.
Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Tierhaltung in den letzen 50 Jahren erheblich gewandelt hat. Ein paar Zahlen machen das anschaulich: Ein schlachtreifes Kalb wog 1950 um 60 - 70 Kilogramm. Heute wiegt es das Doppelte: 120 -140 kg. Eine Milchkuh gab damals im Jahr 3785 Liter Milch; heute sind es 7983 Liter, also wieder mehr als das Doppelte. Es gibt Kühe, die über 12000 Liter im Jahr liefern, also täglich fast 40 Liter. Hühner legten 1955 etwa 118 Eier im Jahr, heute sind es 276, also fast das Dreifache. Einige Masttiere nehmen enorm zu. Das führt bei Geflügel teilweise dazu, dass das Skelett nicht so schnell wächst, wie die Muskeln und 25-55 % der Tiere Knochenbrüche, oder Verformungen erleiden.
Ursache für die Zucht solcher Hochleistungstiere sind unter Anderem niedrige Lebensmittelpreise, die es vielen Bauern schwer machen, zu überleben. Größere Betriebe, mehr Maschineneinsatz, höhere Zahl an Tieren und eben höhere Leistungen des einzelnen Tieres schienen die einzige Lösung zu sein.
Es sind aber nicht nur sparsame Verbraucher an dem Elend schuld, sondern auch Staaten, die ihre Landwirtschaft so subventionierten, dass die Bauern in anderen Ländern mit geringeren Subventionen keine Chance mehr hatten. Da der Staat das Geld für die Subventionen vom Steuerzahler holen muss, gaukelt er ihm niedrige Lebensmittelpreise vor, muss aber dafür mehr Steuern kassieren. Es gibt eben nichts umsonst.
Ein weiteres Hindernis für den Tierschutz ist, dass Betriebswirte nicht zur ganzheitlichen oder volkswirtschaftlichen Betrachtung neigen. Das Tier verkam zum Produktionsmittel. Nährstoffkreisläufe wurden zerstört. Die Beratung der Landwirte schaute in der Regel auf den Gewinn des jeweiligen Betriebs, ohne die Folgen für das Ganze zu beachten. Mittlerweile sind Grenzen erreicht, die dazu zwingen sich zu fragen, ob Hochleistungstierzucht vernünftig ist.
2009 wurden sämtliche Milchkühe, die in Baden-Württemberg starben, oder geschlachtet wurden erfasst. Das Ergebnis zeigte, dass die meisten Milchkühe gar nicht so alt wurden, dass sie ihre Kosten über die erzeugte Milch wieder herein gebracht hätten. Es ist also nicht nur der niedrige Milchpreis der den Bauern das Leben schwer macht.
Eine Kuh bekommt ungefähr mit zweieinhalb Jahren ihr erstes Kalb und gibt dann auch Milch. Noch vor 40 Jahren lebten Milchkühe im Schnitt ein bis zwei Jahre länger als heute. Ursache dafür dass die Kühe heute nur noch 4-5 Jahre alt werden und nur noch 2-3 Kälber bekommen ist die Zucht auf Höchstleistung. Je höher die Leistung, desto krankheitsanfälliger werden die Kühe. Bei 7000 Litern Milch im Jahr muss jede zweite Kuh wegen Erkrankung frühzeitig geschlachtet werden, bei 10 000 Litern sind es schon zwei von drei Kühen.
Entsprechend steigen die Kosten für Tierarzt und Tiermedizin, so dass auch die Kosten steigen. Die Hochleistungsmilchkühe sind auch weniger fruchtbar, es wird also zusätzlich auch die Nachzucht schwieriger. Das bedeutet ab einem gewissen Punkt sind Hochleistungskühe überhaupt nicht mehr wirtschaftlich, weil sie sterben, oder geschlachtet werden müssen, ehe sie ihre Kosten in Form von Milch überhaupt wieder herein bringen konnten.
Ähnliches lässt sich bei Sauen zeigen, die vor 50 Jahren noch im Schnitt zehn Ferkel in einem Wurf zur Welt brachten. Heute sind es häufig 14 Ferkel und die Zucht versuchte sich auch schon an Sauen die 17 Ferkel warfen. Aber von den zusätzlichen drei Ferkeln starben im Schnitt 2,6, weil sie kleiner und damit empfindlicher auf die Welt kamen, denn der Platz im Uterus der Sau lässt sich nicht beliebig ausdehnen. Wenn aber von den zusätzlichen Ferkeln je Wurf nicht mal eines lange genug lebt, um damit Geld zu verdienen, dann ist das Zuchtziel „möglichst viele Ferkel je Wurf“ Unsinn. Zumal ja für die zusätzlichen lebend geborenen Ferkel Kosten anfallen, auch, wenn man später nichts an ihnen verdient, weil sie zu früh sterben.
Etwas vereinfacht kann man sagen: Um so hoch gezüchteter eine Tierart, um so mehr Tiere müssen wegen Krankheit früher geschlachtet oder getötet und beseitigt werden. Da Krankheiten häufig ein Zeichen für ungünstige Lebensbedingungen sind und oft mit Leiden verbunden sind, müsste eine vernünftige Landwirtschaft eigentlich auch im Sinne des Tierschutzes handeln und Krankheiten vermeiden.
Doch dazu fehlt es vielen Tierhaltern (Bauern, aber auch Privatleuten) an den nötigen Kenntnissen. Das Verbot der Enthornung von Ziegen wurde in Österreich vorübergehend außer Kraft gesetzt, weil Tierhalter behaupteten, es ginge nicht anders. Doch das stimmt nicht, denn in Deutschland etwa ist es verboten.
Bei Rindern war das Enthornen bis vor wenigen Jahrzehnten überhaupt kein Thema. Die Hörnern verhinderten ja im Stall, dass das Rind sich von der Kette befreien konnte, mit der es angebunden war. Erst als aus Gründen des Tierschutzes diese Anbindehaltung immer seltener wurde und die Tiere sich im Laufstall frei bewegen konnten, kam es zu Verletzungen bei Tieren durch die Hörner anderer Tiere. Erst seit diesem Zeitpunkt werden die kleinen Kälber ohne Narkose enthornt. Dabei ist das aus zwei Gründen unnötig. Erstens zeigen gut geführte Höfe, dass diese Verletzungen nicht auftreten müssen, wenn der Stall und der Auslauf oder die Weide richtig eingerichtet sind, und der Bauer und seine Mitarbeiter ihr Handwerk verstehen. Zweitens gab es schon immer auch hornlose Tiere, so dass man auch hornlose Rinder züchten kann. Sie kommen auch in der Natur vor.
Dass man aggressive Tiere aus der Herde nimmt und von der Zucht ausschließt, ist - wie man im Alten Testament der Bibel nachlesen kann - schon seit über 2000 Jahren bekannt. Ein Teil der Probleme des Tierschutzes beruht also auf mangelnder Sachkunde von Tierhaltern, die zum Teil nicht einmal einen Sachkunde-Nachweis erbringen müssen, um Nutztiere zu halten. Das ist etwa so, als ob man Autofahren ohne Führerscheinprüfung erlauben würde. Für die Betroffenen und Alle, die mit ihnen zu tun haben, kann das gefährlich werden.
Der Versuch die Leistung von Tieren immer weiter zu steigern hat fragwürdige Folgen. Einerseits starben Nutztierrassen aus, oder existieren nur noch in sehr geringen Zahlen, andererseits nahm die Inzucht zu. Bei Rindern geht man von 5 % Inzucht aus und bei Schweinen von 2%. Da aber Inzucht die Gefahr mit sich bringt, dass unerwünschte Eigenschaften sich durchsetzen, weil beide Eltern dasselbe „ungünstige“ Erbgutschnipsel haben, ist das nicht wünschenswert. Trotzdem kommt es vor, dass ein Zuchtbulle 25000 Nachkommen hat.
Es hat sich bei der Tierzucht offenbar noch nicht genügend herum gesprochen, dass es nicht wirtschaftlich ist, wenn man sozusagen mit einem Rennwagen zur Arbeit fährt, oder versucht Einkäufe zu erledigen. Deshalb raten Forscher dazu etwa bei Milchkühen nicht auf möglichst frühe Fruchtbarkeit, also Frühreife zu züchten, sondern auf eine lange Nutzungsdauer.
Dazu gehört Gesundheit, aber auch keine zu hohe Milchleistung, gute Fruchtbarkeit und Verträglichkeit in der Herde. Das würde die Kosten für Tierarzt und Medikamente senken. Die Kuh würde im Laufe eines längeren Lebens mehr Milch geben, als die Hochleistungskuh in ihrem kurzen. Der Bauer müsste weniger oft neue Tiere aufziehen und in die Herde integrieren und seine Tiere wären ihm vertrauter, eben, weil er sie länger behält und kennt. Er brauchte auch weniger teures Kraftfutter, das dem Magen der Kuh sowieso nur in Maßen zuträglich ist, denn sie ist ein Grasfresser, kein Körnerfresser. Ein Nebeneffekt wäre, dass mehr Fleisch von den zusätzlich geborenen Kälbern auf den Markt käme.
Nachdem man den Bauern in jüngerer Zeit dazu riet Rinder und auch andere Tiere überhaupt nicht mehr aus dem Stall zu lassen, gibt es nun eine Gegenbewegung, die für eine ganzjährige Haltung im Freiland eintritt. Einzelne, die das versuchten, haben teilweise erhebliches Lehrgeld zahlen müssen, einerseits, weil sie Schwierigkeiten mit der Herde bekamen, die weniger an den Menschen gewöhnt ist, egal, ob das nun der Bauer, der Tierarzt oder der Schlächter war. Andererseits wurden einige angezeigt, weil Tierfreunde meinten, die Haltung verstoße gegen das Tierschutzgesetz.
Neue Forschung zeigt, dass es möglich ist Rinder auch in unseren Breiten das ganze Jahr im Freien zu halten, wenn man das sorgfältig vorbereitet und begleitet. Wer jedoch die Tiere einfach in ein Gehege treibt und sie sich dann selbst überlässt, handelt verantwortungslos und braucht sich nicht wundern, wenn er verurteilt wird, weil er zum Beispiel nicht für ausreichenden Wetterschutz, genügend Futter und Wasser oder die nötige Klauenpflege sorgte. Wer Haustiere wie Wildtiere zu halten versucht, vergisst, dass in der freien Wildbahn 50 - 90 % der Tiere innerhalb eines Jahres sterben.
Der nötige Aufwand lässt die Freilandhaltung noch als relativ aufwendigen Luxus erscheinen, der sich allenfalls durch teureres Ökofleisch bezahlt macht, aber längerfristig ist sie die einzige Möglichkeit um für Ackerbau ungeeignete Standorte zu nutzen und das sind etwa zwei Drittel der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche. Angesichts steigender Weltbevölkerung ist das kein Luxus, sondern ein Gebot der Fairness gegenüber allen Hungernden. Das Beispiel zeigt, dass Tierschutz bei einer ganzheitlichen Betrachtung sich durchaus lohnen würde, weil er nicht nur einseitig auf eine hohe Leistung schielt, sondern die gesamte Lebensleistung eines Tieres mit den damit verbundenen Kosten vergleicht. Und da sind, um ein nahe liegendes Bild zu gebrauchen, gutmütige ausdauernde Allerweltspferde eben nützlicher als ein noch so faszinierendes Rennpferd. Ähnliches gilt für viele Nutztiere.
Im großen Ganzen kann man sagen, dass die ökologische Landwirtschaft Tiere mehr schützt, was einerseits an ihrer grundsätzlich anderen Denkweise liegen kann, aber auch an der höheren Zahl von Kontrollen. Dennoch gibt es auch im Ökolandbau noch genug zu verbessern. So ist es Ferkeln, wenn sie von der Mutter getrennt werden, häufig zu kühl.
Auch bei den herkömmlichen Betrieben wäre es kein Kunststück diejenigen heraus zu finden, die Schwierigkeiten haben, indem man beim Schlachthof und beim Abdecker Buch führt und bei denjenigen Betrieben öfter kontrolliert, die Tiere mit Anzeichen von Vernachlässigung oder Krankheiten abliefern, denn der Tierarzt, der das Elend auf einem Hof sieht, fühlt sich in vielen Fällen an seine Schweigepflicht gebunden.
Hier zeigt sich wieder ein Nachteil davon, dass der Verbraucher heute meist Fleisch kauft, dessen Herkunft er nicht kennt. Wer früher in einem kleinen Dorf wohnte, kannte seine Bauern und die Metzgereien und wusste wie es den Tieren ging und wie der Bauer mit ihnen umging (wobei es den Tieren damals meist insgesamt weniger gut ging, als heute). Diese soziale Kontrolle durch die Nachbarschaft ist heute weitgehend weggefallen, vor allem, wenn die Tiere immer im Stall gehalten werden und Besucher unerwünscht sind, weil sie Krankheiten einschleppen oder die Tiere beunruhigen könnten. Auch das erschwert logischer Weise den Tierschutz.
Der Gesetzgeber erwägt deshalb eine weitere Kennzeichnung, die dem Verbraucher verrät, wie die Tiere gehalten wurden, deren Fleisch, Milch und Eier er kaufen möchte. Das ist einerseits erfreulich, weil dadurch der Verbraucher mehr Einflussmöglichkeiten bekommt. Aber andererseits zeigen Studien, dass die Art und Weise, wie der Mensch mit den Tieren umgeht, ganz erheblich dazu beiträgt, wie es den Tieren geht und wie aggressiv oder gesund sie sind. Und das würde sich in der Kennzeichnung nicht erkennen lassen.
Ob das Problem der entscheidenden Beziehung zum Menschen durch die von Züchtern angestrebte Zucht von Schweinen zu lösen ist, die weitestgehend ohne Menschen aufwachsen sollen, darf bezweifelt werden. Zwar sind Automaten in der Tierhaltung heute schon weit verbreitet (Futterautomat, Tränke, Melkautomat, ja sogar Klauenputzgerät), aber für diese Tiere wäre der Kontakt mit dem Menschen belastender, etwa beim Kastrieren, oder wenn die Ferkel von der Mutter getrennt werden, wenn sie in eine neue Gruppe gebracht werden, oder beim Verladen und im Schlachthof.
Tierschutz scheitert also häufig, weil es sehr viele Hindernisse gibt. Angefangen von ungenügender Kenntnis der tierischen Bedürfnisse, sonst gäbe es schon lange keine Forschung mehr, über die mangelnde soziale Kontrolle der Tierhalter durch die Gesellschaft, egal ob durch Nachbarn oder Kontrolleure bis zur Unkenntnis der Tierhalter und Verbraucher über die Folgen ihres Tuns auf das gesamte System Erde. Verantwortungslose Politik und Geschäftemacher, die mit Lebensmitteln spekulieren haben das Problem in der Vergangenheit verschärft. Und wie das Beispiel der Enthornung zeigt, haben selbst Entwicklungen, die die Lebensbedingungen der Tiere verbessern (Laufstall statt Anbindehaltung) manchmal Nebenwirkungen, die offenbar nicht rechtzeitig bedacht wurden. Hinzu kommt, dass je mehr Gesetze und Verordnungen es gibt, desto wahrscheinlicher wird auch, dass sie vergessen oder nicht beachtet werden. Dann hilft nur noch Kontrolle und die kostet Geld, muss also politisch gewollt sein.
Es ist deshalb sicherlich gut gemeint, wenn der Gesetzgeber versucht mit weiteren Gesetzen den Tierschutz voran zu treiben, aber der Erfolg dürfte mäßig sein. So ist zum Beispiel umstritten, ob die Hochleistungszüchtung nicht bereits bei manchen Tieren die Grenze zur verbotenen Qualzucht überschritten hat, also einer Zucht, die dazu führt, dass das Tier im Laufe seine Lebens Qualen erleidet, weil der Körper für die geforderte Leistung einfach nicht geeignet ist, etwa bei den Masthähnchen, deren Skelett mit dem Muskelwachstum nicht mit kommt und deshalb verformt wird, oder bricht. Obwohl das bekannt ist, versagen hier bisher die Kontrollen.
Da der Verbraucher immer öfter nur noch Brust oder Keule kauft, fällt ihm das auch kaum auf, während es beim Kauf eines ganzen Tieres schon eher auffallen würde. Also spielen für den Tierschutz sogar die Essgewohnheiten eine Rolle.
Diese große Vielfalt von Einflüssen erklärt auch, weshalb sich Tierfreunde und Landwirte zuweilen feindselig gegenüber stehen, es fehlt oft auf beiden Seiten an Informationen, die eine sachliche Debatte erlauben würden. Außerdem stehen viele Landwirte seit Jahren mit dem Rücken zur Wand und fürchten trotz harter Arbeit ihren Hof zu verlieren. Das macht natürlich auch nicht gesprächsbereiter, wenn auf der anderen Seite Tierfreunde stehen, die mehr mit dem Herzen, als mit dem Hirn argumentieren. Es sind eben beide nötig, das heiße Herz und der kühle Verstand.
Vielleicht haben auch die Bauernverbände einen Teil der Schuld, denn sie haben sich stets mit dem Begriff „Gute landwirtschaftliche Praxis“ gegen Änderungen gewehrt, obwohl doch eigentlich jedem klar sein musste, dass der Großteil der Bauern eben auch nur eine „durchschnittliche landwirtschaftliche Praxis“ leisten kann.
Was tun? Gesetze sind hilfreich, aber lösen das Grundproblem nicht. Auch höhere Preise für Lebensmittel allein helfen nicht, wenn sie der Zwischenhandel für sich behält, sie also beim Bauern nicht ankommen. Wer wirklich Tierschutz erfolgreich umsetzen möchte, müsste zunächst mal auf der Forschungsseite klären, wie die optimalen Lebensbedingungen für verschiedenen Tiere aussehen. Das ist zum Teil bekannt, zum Teil noch nicht.
Der nächste Schritt wäre zu prüfen, wie sich das in Betrieben umsetzen lässt. Früher bestimmte bei einem Hof die verfügbare menschliche Arbeitskraft die Größe von Feldern, Weiden und Tierbestand. Das kann man sicherlich durch Technik beeinflussen. Aber die Frage müsste sein, wie sähe ein optimaler Hof in dieser oder jener Landschaft aus. Wie viele Tiere, welche, wie viele und wie große Felder, mit welchen Pflanzen darauf, usw. Dabei sollte auch eine Rolle spielen, wie viele Menschen, oder Familien da zusammen arbeiten können und wollen. Wenn man mit diesem Wissen landwirtschaftliche Betriebe so gestaltete, dass Menschen und Tiere sich wohl fühlen können und die Arbeit zu schaffen ist, aber nicht überfordert, dann wäre das ein großer Schritt nach vorn. Auf solchen Höfen könnten neue Traditionen für eine gute landwirtschaftliche Praxis entstehen, die dann von anderen nachgeahmt werden könnten.
Gleichzeitig müsste man – vielleicht ähnlich den Energieeffizienzklassen bei Haushaltsgeräten – ein einfaches Kennzeichnungssystem entwickeln, dass anzeigt, ob der Hersteller und der Vertrieb verantwortungsbewusst arbeiten, oder nicht. Dabei könnte in Untergruppen angezeigt werden, wie mit den Tieren und der Natur umgegangen wird, aber auch mit Energie und Rohstoffen.
Denkt man noch weiter, dann müsste natürlich auch für jede Arbeit ein angemessener Lohn gezahlt werden, denn heute gibt es immer mehr Arbeitsverhältnisse, von denen man nicht leben kann. Und die Betroffenen sagen mit Recht: „Ich würde gerne umweltfreundlichere bessere Lebensmittel kaufen, kann mir das aber nicht leisten.“
Dass all das von der Politik begleitet werden müsste, ist selbstverständlich. Förderung müsste danach vor allem erhalten, wer seine Sache gut macht, nicht wer die besten Lobbyisten hat. Und die Politik müsste sich hüten die Lebensmittelproduktion als Waffe einzusetzen, oder als Druckmittel.
Im Grunde läuft es darauf hinaus, dass Ethik und Moral wieder in die Lebensmittelherstellung zurückkehren und das reine Profistreben verdrängen müssten. Viel wäre erreicht, wenn jedem bewusst wäre, was der Philosoph und Dichter Khalil Gibran sinngemäß so formulierte: „Wir haben die Welt nur von unseren Kindern geliehen!“ Also müssen wir mit ihr behutsam, sorgfältig und achtungsvoll umgehen; ganz gleich ob Gegenstand, Pflanze, Tier oder Mensch.
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Forderungen,
deren Erfüllung den Tierschutz voran bringen würde:
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1.Nachvollziehbare Kennzeichnung der Produktionsweise
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2.Obligatorische Prüfung und Zulassung serienmäßig hergestellter Haltungseinrichtungen (z.B. Melkroboter, Futterautomat, Boxen, Abtrennungen im Stall und auf der Weide)
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3.Risikoorientierte Überwachung an Hand Tierbezogener Merkmale (z.B. Zustand, Ernährung, Verletzungen)
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4.Aufnahme der landwirtschaftlichen Tierhaltung in den § 11 Tierschutzgesetz, d.h. der Bauer muss die nötige Sachkunde nachweisen, ehe er Tiere halten darf.