Unzuverlässig wie die Bahn
 
Wie die Politik ein Unternehmen ruinierte
 
Bundesbahn hatte rund 48 Milliarden Schulden und im Vorjahr einen Jahresverlust von knapp 8 Milliarden. Sie ist also eigentlich pleite. Seit dem 1.1.1994 gibt es die Deutsche Bahn, die wie ein privates Unternehmen geführt und an die Börse gebracht werden sollte. Heute macht die Bahn zwar Gewinn, aber das Vertrauen in ihre Zuverlässigkeit ist ruiniert.
1.        Der Bundesbahn gelang es, laut Daimler-Benz, nicht die Motoren vom Werk  Untertürkheim in der gewünschten Zeit ins Werk nach Sindelfingen (beide mit Gleisanschluss) zu bringen. Das könnte aber auch an unrealistischen Zeitvorstellungen gelegen haben. Das Ergebnis war, dass täglich mehrere Lastwägen mit Motoren durch Stuttgart fuhren (und noch fahren?).
2.     Bei der Vergabe des Regionalverkehrs im Großraum Stuttgart schaffte es die Bahn durch ungenügenden Unterlagen alle Mitbewerber von einem Angebot abzuhalten und den Auftrag selbst zu bekommen. Wobei darüber gestritten wird, ob der Vertrag fair ist. Die Bahn verdient vor Allem im Regionalverkehr (870 Millionen Gewinn!), den das jeweilige Land bestellt und bezahlt, bzw. bezuschusst.
3.    Der zweigleisige Ausbau der Strecke zwischen Sindelfingen und Renningen für die S-Bahn dauert jetzt bereits sechs Jahre länger, als geplant.
4.    Der Berliner S-Bahnverkehr ist auf Jahre gestört, weil die Bahn Wägen und Material verkommen ließ, statt sie rechtzeitig zu pflegen oder zu ersetzen.
5.    Die Bespitzelung der eigenen Mitarbeiter durch die Konzernspitze (daher der Name?) war nicht nur ein Verstoß gegen geltendes Recht, sondern zeigt auch die fragwürdige Unternehmenskultur, die auf Verheimlichen und Verschweigen, sowie Druck von Oben angelegt ist.
6.    1998 verkündeten am Stuttgarter Hauptbahnhof Anzeigetafeln, wie pünktlich die Bahn sei. Diese Anzeigen sind längst verschwunden und die Bahn lässt den Verkehrsminister Ramsauer - letztlich ihren obersten Dienstherren - im Parlament geschönte Daten zum Winterchaos 2010-11 verbreiten.
7.    Die Bahn beschloss den Bau der Schnellbahntrasse Frankfurt-Köln mit der so genannten Festen Fahrbahn (Betonplatte statt Schwellen), obwohl deren Haltbarkeit - und damit auch Wirtschaftlichkeit - ungeklärt war (oder ist).
8.    Im Bundesverkehrswege-Bedarfsplan (vom 11.11.2010) konnte (oder wollte) die Bahn zu zwei Strecken keine belastbaren Angaben machen, so dass die Politik über diese Strecken nicht fundiert entscheiden kann.
9.    Die Mängel an Rädern und Achsen bei den ICEs (Eschede, Köln, etc.) hätten vermieden werden können, da es damals bereits Geräte zur Prüfung von Rädern gab, die aber m.W. nicht eingesetzt wurden.
10.    Der Bundesverkehrswege-Bedarfsplan stellt für den Zeitraum 2003-2010 eine  Kostensteigerung bei Schienenprojekten von 30% fest, die zum Teil durch gestiegene Baukosten bei Großprojekten und höhere Standards bedingt ist, aber auch weil (Zitat):    
    "Zudem fehlt der bundesseitigen Schieneninfrastrukturfinanzierung ein hinreichender Anreiz für die DB Netz AG, Bedarfsplanprojekte möglichst kosteneffizient durchzuführen. Kritisch ist darüber hinaus, dass die DB AG Infrastrukturlösungen gegenüber Investitionen in das Rollmaterial (z.B. beim Lärmschutz; bei der Neigetechnik, bei der Signalisierung) bevorzugt, da sie Investitionen in das Rollmaterial selbst tätigen muss, während der Bund den Ausbau der Schieneninfrastruktur weitgehend finanziert."
    Im Klartext: Die Bahn spart an Fahrzeugen und lässt den Bürger für Strecken zahlen.
11.    Die Bahn baut "So-da-Brücken" (z.B. auf der Strecke Erfurt-Nürnberg), die renoviert werden müssen, ehe nach vielen Jahren der erste Zug darüber rollen wird. Bis dahin stehen diese Brücken "so da". Sie binden und vernichten dadurch unnötig Kapital.
12.    Die Bahn schaffte S-Bahnen an, deren Türen Ältere beim Schließen umwarfen, weil es - anders als bei der Stuttgarter Stadtbahn (Straßenbahn) - keine Drängeleinrichtung gibt, also keine Sensoren, die merken, ob jemand in der Tür eingeklemmt wird, oder sich in der Tür befindet.
13.    Die Bahn bekommt die Problem mit der Neigetechnik nicht in den Griff, so dass die  eingeplanten Fahrzeitverkürzungen und Anschlüsse wegfallen. Der Bedarfsplan bemerkt bei zwei Strecken: "Betriebskosten aus Neigetechnikeinsatz übersteigen Nutzen". Die Bahn schiebt den Schwarzen Peter natürlich den Herstellern zu, verdrängt dabei aber, dass sie die Fahrzeuge mit diesen Mängeln abgenommen und in Dienst gestellt hat. Etwa auch den völlig unwirtschaftlichen Diesel-ICE mit Neigetechnik.
14.    Es wurden so viele Gleise und Ausweichstrecken abgebaut, dass es auf manchen Strecken nicht mehr möglich ist einen langsameren Zug zu überholen, was mit zur Unpünktlichkeit beiträgt.
15.    Durch mangelnde Instandhaltung gibt es so viele Mängel, dass die wegen der Sicherheit nötigen Langsamfahrstellen dafür sorgen, dass die Fahrpläne heute längere Reisezeiten enthalten, als früher. Z.B. Stuttgart-München + 15-20 Minuten!
16.    Die Bahn hat ihren Systemvorteil vergessen (vielleicht weil einige Chefs aus der Fliegerei und Autobranche kamen?): Früher konnten bei Bedarf ein zwei Wagen angehängt werden, so dass mehr Reisende einen bequemen Platz fanden. Das geht bei Triebwägen, wie S-Bahn und ICE nicht mehr. Dafür bekommt man schon bei der Buchung den Hinweis, dass eine kostenpflichtige Reservierung ratsam sei und steht dann doch im völlig überfüllten Zug, weil man nicht bis zu seinem Platz durch kommt (z.B. auf der Strecke Köln-Frankfurt).
17.    Im Gegensatz zu einigen Nachbarländern hat die Bahn seit 2009 von der EU vorgeschriebene passive Sicherheitsmaßnahmen (z.B. Knautschzonen) noch nicht eingebaut. Vermutlich, weil man im innerdeutschen Verkehr dazu nicht verpflichtet ist und so Geld spart.
18.    Kritische Wissenschaftler müssen damit rechnen, dass die Bahn sie bei zukünftigen Gutachten oder Aufgaben nicht mehr berücksichtigt, und sind deshalb manchmal nicht bereit über Ihr Wissen öffentlich auszusagen (z.B. Schlichtung zu Stuttgart 21).
19.    Die Bahn verhinderte durch mangelhafte Informationen, dass sich die Politik bei Zeiten zu Stuttgart 21 ein zutreffendes Bild machen und fundiert und in Kenntnis der enormen Kosten entscheiden konnte. Der Bundesrechnungshof schrieb noch am 30.10.2008: "Der Bund ist deshalb haushaltsrechtlich nicht ermächtigt, für das Vorhaben eine Finanzierungsvereinbarung abzuschließen. Die Gesamtfinanzierung des Vorhabens ist somit nicht sicher gestellt."
20.    Auch der Europäische Rechnungshof kritisiert die Deutsche Bahn: Auf der Strecke  Nürnberg-Ingolstadt etwa stellte man erst nach der Fertigstellung fest, dass dort schnelle Güterzüge "wegen Luftdruckproblemen in den Tunnelabschnitten nicht aneinander vorbeifahren konnten". Nun fahren dort ausschließlich Personenzüge mit Hochgeschwindigkeit. Die EU will aber nur Strecken mit gemischtem Verkehr fördern, damit das Geld sinnvoll ausgegeben wird. Ob ähnliche Überraschungen bei der geplanten Überquerung der Alb von Stuttgart nach Ulm auch auftreten werden?
21.    Die Entlassung von Personal und die Verschrottung von Material führt dazu, dass heute Züge ausfallen, weil z.B. kein Lokführer da ist, um für eine defekte Lok eine Ersatzlokomotive zu holen (wenn die denn da ist). Auf der Gäubahn verkehren statt des ICE nun wieder Schweizer Züge.
22.    Trotz langer Planung ist es der Bahn nicht gelungen genehmigungsfähige Pläne für den Ausbau der Rheintalstrecke durch Offenburg vorzulegen, obwohl sich Deutschland zur rechtzeitigen Fertigstellung dieser Zubringerstrecke zum Schweizer Gotthardtunnel verpflichtet hat.
23.    Auch der prognostizierte Verkehr stimmt nicht mit den Tatsachen überein, wie auf der Strecke Frankfurt-Köln zu sehen ist. Dort verkehren heute weniger Züge, als einst vorher gesagt (vermutlich um die Wirtschaftlichkeit zu belegen).
24.    Die Bahn hat sich (mit Erlaubnis der Politik) aus der Fläche zurück gezogen, Strecken still gelegt, die wenige Jahre später von anderen Firmen wieder belebt wurden und seither wieder erfolgreich sind. Besonders geglückt sind die Karlsruher Straßenbahnen, die sowohl auf der Straße, als auch auf Bahngleisen verkehren können und so ein riesiges Gebiet versorgen.
An fast all diesen Missständen ist die Politik mitschuldig:
a)    Der Bund als Besitzer der Bahn hat mit seiner Idee der Privatisierung und des Börsenganges falsche Vorgaben gemacht. Ein Unternehmen, das soziale Pflichten hat, kann nicht so rücksichtslos Gewinne machen, wie eine Firma ohne solche Pflichten, ist also nur bedingt konkurrenzfähig.
b)    Die Entlassung tausender Mitarbeiter hat die Sozialkassen und Steuerzahler belastet, da die Eisenbahner entweder selbst arbeitslos wurden, oder anderen geringer qualifizierten Arbeitslosen die Stellen wegnahmen. Für sie muss die Allgemeinheit jetzt, und, wenn die Rente nicht reicht, auch in Zukunft bezahlen. Zugleich sucht die Bahn heute händeringend Leute.
c)    Die Politik ließ der Bahn freie Hand und kontrollierte zu wenig. Gegen den Rat des Rechnungshofes wollte Minister Tiefensee (SPD) die Milliarden für die Bahn ohne detaillierte Verwendungsnachweise überweisen! Genauso hätte die Region Stuttgart (siehe 2.) von der Bahn aussagekräftige Unterlagen verlangen können und müssen. Zur Not mit dem Hinweis, sie werde sonst aus dem Bieterverfahren ausgeschlossen. Wer sich als Politiker von einer Staatsfirma auf der Nase herum tanzen lässt, vernachlässigt seine Pflicht.
d)    Großprojekte, wie Stuttgart 21, hätten gründlich geprüft und Alternativen erwogen gehört. Statt dessen hat man sich über den Tisch ziehen lassen. Der Bürger zahlt es ja!
 
 
Carl-Josef Kutzbach
Dienstag, 22. Februar 2011