Die Entwertung des Wortes
 
Am Anfang war das Wort“ beginnt das Johannes-Evangelium, wobei man das altgriechische „Logos“ auch als „Begriff“ oder „Lehre“ oder „Ordnung“ (wie in Psychologie, Geologie, Biologie) übertragen kann. Es ist klar, dass am Anfang eine Vorstellung von etwas da sein muss, damit es geschaffen werden kann, und diese Vorstellung muss gewissen Bedingungen (einer Lehre, oder Ordnung) folgen, denn sonst passt eins nicht zum anderen.
Wort und Wirklichkeit
Das Wort und sein richtiger Gebrauch dienen im Umkehrschluss auch dazu eine angemessene und das bedeutet wirklichkeitsnahe Vorstellung von der Welt zu bekommen. Schon Konfuzius mahnte sinngemäß: "Man dulde keine Willkür bei den Worten, denn sonst kommt alles durcheinander!" Und er mahnte, dass das, was gesagt werde, auch das sei, was gemeint war. Und damit meinte er sowohl sprachliche Ungenauigkeit, als auch bewusste Lüge.
Was würden Johannes und Konfuzius zur heutigen Entwertung der Worte sagen? Was dazu, dass Verträge, Versicherungen, Steuererklärungen, Beipackzettel, Nutzungsbedingungen von Software oder andere Texte für die meisten Menschen mehr oder minder unverständlich sind? Was bedeutet es, wenn deshalb die meisten Menschen kein gemeinsames Verständnis mehr von der Wirklichkeit haben? Was, wenn sie Lizenzbestimmungen ignorieren und einfach "Akzeptieren" anklicken, wenn sie Computer-Programme oder deren neuere Versionen herunter laden? Was bedeutet es, wenn Gemeinderäte und Parlamentarier über Sachen abstimmen, die sie keinesfalls gelesen, geschweige denn verstanden haben (Cross-Border-Leasing-Verträge in Englisch, geheimer Vertrag zu LKW-Maut von 17 000 Seiten)? Da werden weit reichende Gesetzesänderungen in kürzester Zeit durchs Parlament gejagt, weil man Angst vor Spekulanten und der Pleite von Banken hat. Eine gründliche Lektüre der Gesetzesvorlage und eine Erörterung mit Fachleuten, welche Folgen das Gesetz haben könnte, ist unter diesen Bedingungen selten. Das Bundesverfassungsgericht bescheinigt dem Gesetzgeber daher regelmäßig Pfusch.
„Es gilt das gesprochene Wort”?
Was bedeutet es, wenn Reden im Parlament als gehalten gelten, auch wenn sie nur schriftlich vorliegen? Was, wenn die Entscheidungen aus dem Parlament (das Wort meint einen Ort an dem in Rede und Gegenrede um die besten Ideen und Argumente öffentlich gerungen wird) in Ausschüsse verlagert werden, die oft unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagen? Kungelei? Was bedeutet es, wenn Lobbyisten an Behörden „ausgeliehen“ werden, um Gesetzestexte zu formulieren?
Was bedeutet es, wenn im Geschäftsleben immer weniger Briefe geschrieben werden, sondern man sie aus Textbausteinen zusammensetzt, die zum Beispiel die Mitglieder und Mitarbeiter der Künstlersozialkasse viele Jahre lang zur Verzweiflung trieben?
Was bedeutet es, wenn sich am Telefon kein Mensch, sondern ein Computerprogramm mit menschlicher Stimme meldet, das den Anrufenden irgend jemand zuweist, wenn dieser nicht so klug ist Unverständliches zu brabbeln, worauf das Programm in den meisten Fällen zu einem Menschen durchstellt?
Warum tragen Menschen heute Etiketten und Aufschriften außen auf ihren Kleidungsstücken, wissen aber oft selbst nicht, was der Text bedeutet, oder weshalb sie für eine Marke Werbung spazieren tragen. Oft sind sie verblüfft, wenn man überhaupt versucht zu lesen, was da steht und sie nach der Bedeutung fragt. Aber wozu sollen Aufschriften sonst gut sein?
Kopieren statt studieren?
Wie kann es sein, dass ganze Doktorarbeiten zusammenkopiert werden und es die Universitäten nicht merken? Es gibt an Schulen längst Programme die Textstellen erkennen können, die aus anderen Werken stammen, warum nicht an den Universitäten? Und was bilden sich die Damen und Herren Schmalspur-Doktores eigentlich ein? Je mehr Text, desto besser? Einstein brauchte wenige Seiten um seine fundamentalen Gedanken fest zu halten, und in Indien gibt es ein Sprichwort: "Wenn man mir etwas nicht in einem Satz erklären kann, dann hat man es entweder nicht begriffen, oder man glaubt nicht daran."
Was bedeutet es, wenn der Zahnarzt auf die Rückseite seiner Rechnung die Geschäftsbedingungen druckt, natürlich in Hellgrau und kleiner Schrift, damit es für Ältere auch nicht zu leicht zu lesen ist? Was sagt es aus, wenn auf Plakaten mit Preisen geworben wird, die sich als unrealistisch erweisen, wenn man das Kleingedruckte liest, das sich wie ein Grauschleier über den unteren Teil legt?
Hier wird im Kleingedruckten der Preis auf über 72.-€ angehoben.
 
Die Masse macht’s?
Was bedeutet es, wenn ein Versicherungsvertrag heute zig Seiten umfasst, auch wenn es kürzer und klarer ginge? (Zum Beispiel bräuchte eine Kapital-Versicherung, die auch verrentet werden kann nur folgenden Angaben: Der Vertrag wurde am soundsovielten geschlossen und läuft bis zum Datum xyz. Der Versicherungsnehmer zahlt dafür monatlich xyz Euro ein und bekommt am Ende eine Summe, die sich so errechnet: eingezahltes Kapital mal Zins und Zinseszins. Davon gehen ab: Provision für den Versicherungsvertreter und Kosten und Gewinn der Versicherung in Höhe von xyz. Da der Zins über die gesamte Laufzeit nicht vorhersehbar ist, drei Beispiel-Rechnungen, die  den besten, schlimmsten und derzeit wahrscheinlichen Fall darstellen. Bei Tod zahlen wir xyz, bei Berufsunfähigkeit xyz. Wenn nichts anderes schriftlich festgelegt wurde, gilt BGB, bzw. Sozialgesetzbuch xyz.)
Was bedeutet es, wenn auf Lebensmitteln, ja sogar am Regal heute viel mehr Informationen stehen, als früher, aber die Zahl derer, die sich falsch ernähren steigt? Was bedeutet es, wenn Menschen nach der Lektüre von Beipackzetteln gar nicht mehr wagen das Medikament zu nehmen, weil sie die vielen aufgeführten Nebenwirkungen fürchten?
Was bedeutet es, wenn der Briefkasten wöchentlich mit zig Werbedrucksachen und Gratis-Zeitschriften gefüllt wird? (Foto?) Was bedeutet es, wenn Universitäten heute keinen Pressesprecher mehr haben, sondern eine Abteilung für Hochschulkommunikation, die für Presse, Werbung und Marketing zuständig ist? Ein großer Stuttgarter Automobilkonzern hat sich genau mit dieser fragwürdigen Mischung bei ernsthaften Journalisten ins Abseits gestellt, denn Werbung und Marketing dienen ausschließlich der Verbreitung von für das Unternehmen förderlichen Informationen, während ein Pressesprecher der Öffentlichkeit reinen Wein einschenken sollte, auch wenn das für das Unternehmen mal weniger positiv ausfällt. Er steht im Idealfall den Medien Rede und Antwort. Er steht auch für die Ver"antwort"ung des Unternehmens der Öffentlichkeit gegenüber.
Die Privatisierung von Staatsbetrieben hat gerade diese Pflicht des Behördenleiters zu Antworten abgeschafft. Also sagen Post, Telekom und Bahn, sie seien rechtlich nicht mehr zu Auskünften verpflichtet, auch nicht der Politik gegenüber. Bestes Beispiel für die Verweigerung von Antworten ist Stuttgart 21, die umstrittene Tieferlegung des voll funktionstüchtigen Bahnhofes unter die Erde unter Missachtung des Denkmalschutzes von Bahnhof und benachbartem Schlossgarten und vermutlich auch jeglicher Wirtschaftlichkeit.
Wes Brot ich ess, des Lied ich sing?
Wieso hat sich die Zahl der deutschen Öffentlichkeitsarbeiter so vermehrt, dass es heute gleich viele gibt, wie Journalisten? Warum verdienen Öffentlichkeitsarbeiter, die das Lob ihrer Auftraggeber „singen“, viel mehr, als Journalisten, die versuchen die Wirklichkeit zu beschreiben und die Zusammenhänge zu klären, so dass viele Journalisten nebenher als Öffentlichkeitsarbeiter werkeln, um sich ihren Hauptberuf noch leisten zu können?
Warum sind öffentliche Texte von so miserabler Qualität, wie etwa die Aussage der Deutschen Bahn: „Dieser Zug endet hier”? Gemeint ist, dass die Fahrt endet, aber keineswegs, dass hier Anfang oder Ende des Zuges wäre, also vermutlich die Puffer von Lokomotive, Triebwagen oder letztem Wagon, oder gar, dass der Zug hier und jetzt verschrottet werde, weil er am Ende seiner Nutzbarkeit angekommen wäre.
Ähnlich miserabel ist heute die Mehrzahl der Pressemitteilungen, aber auch vieler Artikel und Beiträge in den Medien. Da wird jemand zitiert, aber man erfährt erst hinterher, wer das war und damit wie bedeutungsvoll seine Aussage war. Im Radio hört man manchmal ganze Beiträge, bei denen man erst am Schluss erfährt, wer da was gesagt hat. Wie soll man sich da der Zuhörer eine Meinung bilden? Wie die Aussagen bewerten, je nach Bedeutung und Sachkenntnis des Sprechenden?
In Pressemitteilungen merkt man häufig, dass der Schreibende keine Ahnung von der Arbeit der Medien hat. Mal ist die Überschrift so allgemein, dass man damit nichts anfangen kann, z.B. „Neuer Studiengang an der Hochschule xy“; mal werden als erstes alle beteiligten Gremien samt ausführlichen Titeln aller Teilnehmer erwähnt, ehe man zum eigentlich spannenden Kern der Sache kommt; mal wird zu viel voraus gesetzt („Die berühmte Band xyz veröffentlicht neue CD“, aber niemand kennt die Band außerhalb der jeweiligen Szene); mal wird etwas angekündigt, was noch gar nicht sicher ist, etwa ein erhofftes Forschungsergebnis, dessen Forschung aber gerade jetzt erst gefördert wurde, oder beginnt; oder mal erfährt man erst auf Seite zwei (oder nach längerem Scrollen auf dem Bildschirm), dass die vermeintliche Pressemitteilung eine Einladung zu einem Pressetermin ist, zu dem dann manchmal noch Orts-, oder Zeitangaben fehlen.
Auch wer keine Pressemitteilungen lesen muss, bekommt häufig seinen Briefkasten oder seinen elektronischen Briefkasten im Rechner mit Texten gefüllt, die ihn im besten Fall nicht interessieren und ungelesen aussortiert werden können. Der Computer und dessen Kopierfunktion erlauben Doktorarbeiten zusammen zu schustern, in denen kaum ein eigener Gedanke vorkommt. Hinz und Kunz meint heute eine Kundeninformation, gar einen „Newsletter” versenden zu müssen. Von Sozialen Netzwerken oder Mailing-Listen, denen man „unbedingt“ angehören muss, ganz zu schweigen.
Wie ging das bloß früher?
Wie konnte ein Römisches Reich funktionieren, ohne Mobiltelefon und Computer, ja sogar ohne Lautsprecherdurchsagen im Circus Maximus? Das, was man an Telefonaten in Bus und Bahn mithören muss, zeichnet sich häufig durch Trivialität aus: „Ich bin jetzt im Zug, Bus, Straßenbahn, an Bahnhof, Haltestelle ... und bin in soundsoviel Minuten da.“ Daran ändert das Telefonat auch nichts. Aber schön, dass es jetzt alle im Wagon auch wissen.
Was sagt eine Inflation von Gesprächs- (Talk-) Sendungen im Fernsehen über den Wert des Gespräches und des gesprochenen Wortes aus? Ist das die Reaktion auf ein wachsende Zahl von Leuten, die zwar die Schule absolvierten, aber ohne wirklich Lesen und Schreiben zu lernen? Offenbar hat da die Schule auch jahrelang nichts gemerkt. Wie kann es sein, dass der Deutschunterricht keine Lust auf Lesen machte, egal ob aus Freude an der Sprache, oder aus Neugier und Wissensdurst?
Was ist davon zu halten, wenn ein angeblicher Experte bei der Übertragung der Fussball-Europameisterschaft sich mehrfach bei Fremdworten vertut und z.B. von „imprägnieren“ spricht, wenn er vermutlich „imponieren“, im Sinne von „angeben“ meinte, oder den mathematischen Begriff des „Algorithmus“ für wiederkehrende Spielzüge gebraucht?
Was ist davon zu halten, wenn Journalisten in Funk und Fernsehen zu kurzen Sätzen angehalten werden (die zwangsläufig dogmatischer wirken), damit sie auch der Dümmste versteht, denn der bringt schließlich Quote, aber die Vorsitzenden der größten deutschen Firmen nicht einmal die Verständlichkeit von Radionachrichten erreichen, wenn sie die Leistungen ihrer Firma bei Aktionärsversammlungen oder Bilanzpressekonferenzen schildern?
„Verständlichkeit ist das erste Gebot auf der Bühne. Sonst brauchen wir gar nicht aufzutreten”, sagte Jean Luis Barrault, der große französische Mime und Regisseur sinngemäß. Warum sollte das bei einer Werbeveranstaltung für das Unternehmen anders sein? Wer schreibt den Chefs eigentlich die Reden? Oder ist die sprachliche Ungenauigkeit und Unverständlichkeit Absicht? So ein Imponiergehabe, wie das deutsch-englische Kauderwelsch der Wirtschaftswissenschaften und Betriebsberater?
Sprache dient vermutlich schon lange nicht nur der Verständigung, sondern auch der Ausgrenzung deren, die nicht mitreden können oder sollen. Aber was ist, wenn mit immer mehr Worten immer weniger ausgesagt wird, wenn Textgebirge – wie in Verträgen – nur noch der Absicherung dienen, aber nicht mehr der Anschaulichkeit und Verständlichkeit? Ist das Kleingedruckte nicht häufig der Versuch sich eine bessere Rechtsposition zu erschreiben, als sie der Gesetzgeber eigentlich (in Grundgesetz, Bürgerlichem Gesetzbuch, Sozialgesetzbuch, etc.) vorsah und für die Allgemeinheit gut befand? Ist es nicht der Versuch sich von jeglicher Schuld und Haftung frei zu sprechen, also aus der Verantwortung zu stehlen? Muss man das nicht schon als feindlichen Akt gegen den Kunden oder die Allgemeinheit ansehen? Das Lesen aller kleingedruckten Allgemeinen Geschäfts-Bedingungen würde bei einem Durchschnittsbürger laut amerikanischer Studie 1500 Stunden im Jahr erfordern, also 187,5 Arbeitstage von Acht Stunden. Es blieben ca. 42 Arbeitstage im Jahr für produktive Tätigkeiten übrig! Das Beispiel zeigt, dass niemand alle AGBs lesen kann, sie also widersinnig wurden.
 
Allmende?
Was ist davon zu halten, wenn immer weniger Menschen Texte, Gedichte, Lieder, Märchen auswendig (eigentlich müsste es wohl heißen „inwendig”) können, wenn nach der ersten Strophe eines Liedes Schluss ist, weil man nicht mehr weiter weiß? Was bedeutet es, wenn Sagen, Überlieferungen, aber auch Weltliteratur, oder die Autoren des eigenen Landes immer weniger Menschen bekannt sind? Geht da nicht etwas Verbindendes, etwas Gemeinsames verloren?
Das Wissen um die eigenen sprachlichen Wurzeln ist heute fast nur noch bei Philologen und einigen unentwegten Verfechtern der lokalen Dialekte vorhanden. Natürlich haben Worte und Begriffe auch ihre Blütezeiten. Aber wenn sich Bedeutungen wandeln, gar ins Gegenteil verkehren, dann führt das im besten Fall zu Missverständnissen , im schlimmsten Fall zu Streit und Ausgrenzung (z.B. „geil” bedeutete im Mittelalter „interessant”, was so viel heißt, wie „das ist für mich reizvoll oder wichtig”. Die Verengung auf sexuell reizend, kam erst später. Aber die „Rückbesinnung” auf die ursprüngliche Bedeutung, war eigentlich gar keine Rückbesinnung, sondern der Versuch junger Menschen zu provozieren, was die Werbung prompt aufgriff).
Vorsicht vor Begriffsbesetzern
Sprache kann selbstverständlich auch missbraucht werden, wie schon das „Wörterbuch des Unmenschen” belegte. Aber was geschieht denn, wenn man für die Serviette „Mundtuch” sagt, oder für das Telefon (altgriechisch für Fern- oder weit-klingend) „Fernsprecher”? Da wird etwas anschaulich. Doch statt „Ausverkauf” oder „Schlussverkauf” heißt es heute „sale” oder „%” oder „reduziert”. Vermutlich, weil das kürzer ist, so ähnlich, wie Twitter. Ist der Gebrauch eines Fremdwortes manchmal nicht pure Eitelkeit und Angabe? „Seht her! Ich kann Fremdwörter, Englisch, Französisch, Russisch, Latein, Griechisch!” Angeber stellen sich aber über ihre Mitmenschen, wenn auch aus einem unsicheren Selbstwertgefühl. Sie sind eher asozial (keine Verbündeten), als Gemeinschaft fördernd. Obwohl sie so gern dazu gehören würden.
Insofern kann man die Bestrebungen rechter Gruppen so weit wie möglich „deutsche” Begriffe zu benutzen, auch als ein Zeichen dafür verstehen, dass sie sich unverstanden und heimatlos fühlen. Das mag zum Teil an eigener Bildungsferne liegen, aber auch eine Gegenreaktion gegen Tendenzen sein, nur noch im Weltmaßstab zu denken und zu reden (um sich nirgend wo verantworten zu müssen?). Böte man diesen Menschen eine Heimat, in der sie sich verwurzeln könnten, ähnlich wie ein Baum, der mit seinen Blättern zum Sauerstoffgehalt der Luft in der Nähe und in der ganzen Welt beiträgt, der also lokal und weltweit wirksam ist, dann bräuchten sie vielleicht weniger Halt in ihrer Gruppe, in Verschwörungstheorien und Nationalismus suchen.
Verständlichkeit verbindet
Was bedeutet es, wenn die Verständlichkeit, das Verbindende der Wörter und der Sprache verloren geht? Oder wenn so viele Texte produziert werden, dass sie von immer weniger Menschen gelesen werden können? Die Gemeinschaft, die Gesellschaft versteht einander nicht mehr und zerfällt in Gruppen, die ihre Einzelinteressen verfolgen (z.B. Banker, Versicherungen und Investoren), statt sich in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen. Der Einzelne dagegen hat immer öfter das Gefühl nicht mehr zu verstehen, was gespielt wird, dass er zum Spielball fremder Mächte wird, oder aber – und das macht es nicht besser – er hat das Gefühl, dass den Mächtigen der gesunde Menschenverstand abhanden gekommen sei, weil sie vor lauter Plastikwörtern und Worthülsen gar nicht mehr verstünden, wovon sie eigentlich reden.
Natürlich sieht es so aus, als ob Griechenland über seine Verhältnisse gelebt habe, aber man muss auch fragen, a) wer ihnen denn die Kredite gab und damit mitschuldig ist, und b) ist eine Rückzahlung der Schulden völlig unrealistisch, wenn man die Wirtschaft durch extremes Sparen ruiniert, so dass immer weniger Leute ihre Raten oder Steuern zahlen können, weil sie schlicht arbeitslos und am Existenzminimum sind. In dieser Situation nur von „Sparen” zu reden, zeugt von Ignoranz, oder geistiger Armut.
Wenn heute die Worte an Wert verlieren und (deshalb?) immer mehr Worte produziert werden (vielleicht, weil man den eigenen Worten gar nicht mehr traut), dann geht damit auch die Fähigkeit verloren einander zu verstehen, auf einander zu hören, sich abzusprechen, Gemeinsamkeiten und Meinungsverschiedenheiten zu klären, kurz zur politischen Meinungsbildung und Teilhabe. Damit aber ist jede Staatsform in Gefahr, erst recht die  Demokratie, die vor allem auf dem Austausch von Argumenten, also auf Sprache fußt. Das bestätigt Konfuzius: „Wenn das, was gesagt wird, nicht das ist, was gemeint ist, kommt alles durcheinander.”
Konnten Sie diesem Text folgen? Haben Sie den Gedanken des Autors verstanden?  Lehnen Sie sie ab, oder teilen sie diese? Gratulation! Dann gehören Sie zu einer kleinen aber wichtigen Minderheit, die lesen kann und eigenständig denkt. Behalten Sie das bei und erinnern sie sich gelegentlich an die Aussagen des Talmud:
Achte auf Deine Gedanken,
denn sie werden Worte.
Achte auf Deine Worte,
denn sie werden Taten.
Achte auf Deine Taten,
denn sie werden Gewohnheiten.
Achte auf Deine Gewohnheiten,
denn sie werden Dein Charakter.
Achte auf Deinen Charakter,
denn er wird Dein Schicksal.
 
 
Das Bild oben zeigt Baumstämme im Stuttgarter Wald in deren Rinde jemand Ziffern und Buchstaben geschnitzt hat.
 
 
Carl-Josef Kutzbach
Freitag, 6. Juli 2012