Der Hammer meines Großvaters
Warum Computer ein Ärgernis sind
 
Der Hammer meines Großvaters ist von der Form her ein Schusterhammer, auf der einen Seite runder Kopf, auf der anderen gebogen mit einem Schlitz, wie beim Kühfuß, mit dem man Nägel herausziehen kann. Dieser Hammer war Anfang bis Mitte des letzten Jahrhunderts in China, danach leistete er in Deutschland gute Dienste. Er braucht kein Handbuch, keinen Stromanschluss, kein „update“, nicht einmal einen neuen Stiel brauchte er in all den Jahren. Wenn ich ihn benutzen will, muss ich ihn nicht einschalten, geschweige denn „hochfahren“ oder warten.
Als ich 1992 meinen ersten Rechner (Apple LC II) kaufte, mit Farbbildschirm und schwarzer Schrift auf weißem Grund, dachte ich eine Anschaffung fürs Leben getätigt zu haben. Immerhin funktioniert er 19 Jahre später immer noch. Aber sein Speicher (40 MB) und sein Arbeitsspeicher (4MB) lassen ihn heute nur noch als Faxserver laufen. Dabei erspart er eine Menge Papier, da das meiste, was heute noch an Faxen kommt, unerwünschte Werbung ist.
Damals wunderte ich mich, weshalb ich auf der Speicherschreibmaschine, die ich zuvor benutzt hatte, so viel schneller schreiben konnte. Heute weiß ich, dass er auf Grund des Arbeitstaktes gar nicht schneller konnte. Also wartete ich oftmals brav, bis er etwas erledigte. Wie viel Zeit ich dadurch unproduktiv vertat, lässt sich nicht mehr feststellen.
Hinzu kamen bald ein Modem, sowie ein CD-Laufwerk. BTX war damals der Weg zu anderen Rechnern. Eine Menge Zeit blieb auf der Strecke, während man darauf wartete, dass sich eine Seite aufbaute, oder Antworten von Anderen bekam. Immerhin konnte man nun auch aus dem Rechner heraus Faxe versenden. Dass ich erst wenige Jahre vorher für das Faxgerät weit über 1000 Mark bezahlt hatte, wen störte das?
Der dritte Rechner war ein Apple Performa, mit integriertem Bildschirm, Lautsprechern und CD-Laufwerk, der plötzlich mit 75 Mhz ein vergleichsweise rasantes Tempo erlaubte. Aber da waren natürlich auch die ersten Updates - meist noch als CDs – nötig, die dann immer wieder Zeit und Geld kosteten. Man brauchte eine Fachzeitschrift, um die neue Technik zu verstehen und auf dem Laufenden zu bleiben, sowie neue Software auf CD angeboten zu bekommen.
Der nächste Rechner, ein G3 brachte wieder neue Geschwindigkeit und Möglichkeiten (Ethernet) und damit auch ein flotteres Internet, sowie das Ende von BTX und Modem. Dafür brauchte man nun einen Browser, ein Mailprogramm, sowie einen Router. Beim Hammer meines Großvaters passiert mir das nie.
Jeder neue Rechner kostete mit allem Drum und dran rund 2000 Mark, oder 1000 Euro. Hinzu kamen im Laufe der Zeit verschiedene Drucker. Apples (von Canon gebauter) Colorstylewriter musste außer Dienst gestellt werden, weil der Tintenauffangschwamm voll war und - anders als im Handbuch versprochen – niemand fähig oder Willens war den auszutauschen. Ich musste also einen eigentlich voll funktionsfähigen Drucker wegwerfen, samt Patronen, weil die eingebaute elektronische Sperre eine weitere Benutzung nicht erlaubte, eben weil besagter Schwamm voll war und ihn niemand austauschen konnte. Und jeder neue Drucker braucht natürlich andere Patronen, so dass die Ersatzpatronen, die man im Haus haben muss, um jederzeit weiter arbeiten zu können, auch nutzlos werden. Wenn man Glück hat findet man jemand, der sie noch gebrauchen kann. Da Druckertinte zu den teuersten Flüssigkeiten überhaupt gehört, ist das nicht nur eine unnötige Materialvergeudung, sondern auch ein teurer Spaß. Beim Hammer meines Großvaters passiert mir das nie.
Natürlich wurden auch mal die Anschlüsse und Steckverbindungen verändert, so dass die gesamten Geräte (Scanner, Kartenleser, Drucker, Tastatur und Maus) nicht mehr weiter verwendet werden konnten, man also das alles beim nächsten Rechner neu kaufen musste. Beim Hammer meines Großvaters passiert mir das nie.
Apple hatte eine recht brauchbare Software (Claris Works), mit der man von der Datenbank über Textverarbeitung, Tabellenkalkulation bis zur Zeichnung ziemlich viel machen konnte. Leider glaubte ich immer noch daran, dass ich eine gute langfristige Investition gemacht hätte und baute meine Buchhaltung auf der Tabellenkalkulation auf, die eine sehr hilfreiche Funktion bot. Man konnte einen Wert, z.B. eine Ausgabe oder Einnahme, einmal eingeben und in verschiedene Dokumenten zugleich übertragen lassen, die diese Daten sozusagen abonniert hatten. Das sparte sehr viel Arbeit, weil so die Einnahmen-Überschuss-Rechnung am Jahresende mit ein paar Mausklicks zu erledigen war (Dazu brauchte man nur die monatlichen Abrechnungen in einem weiteren Dokument zusammenzählen lassen und das Ergebnis in die Gewinnermittlung übertragen. Eines Tages wurde diese Funktion bei einem „update“ fallen gelassen. Ich musste also meine Buchhaltung komplett umstellen. Danke Apple für die unnötige Arbeit und Mühe! Beim Hammer meines Großvaters passiert mir das nie.
Es kam noch viel schlimmer: Statt das Programm weiter zu entwickeln und an die Möglichkeiten neuer leistungsfähigerer Rechner anzupassen, wurde es eingestellt. Das hatte zur Folge, dass nicht nur die alten Dokumente nur noch auf älteren Rechnern mit dem entsprechenden Programm zu öffnen waren – ziemlich lästig, wenn man etwas sucht - , sondern nach einiger Zeit waren die ganz alten Dokumente überhaupt nicht mehr zu öffnen. Es gab dann noch ein Progrämmchen, dass diese alten Dokumente reparieren sollte, aber der Nutzen des Rechners, dass man große Datenmengen rasch durchsuchen kann, war damit verloren. Der Zugang zu über einem Jahrzehnt meiner eigenen Arbeit war damit erschwert. Beim Hammer meines Großvaters passiert mir das nie.
Die rasante Entwicklung führte zudem dazu, dass CDs und dann DVDs, oder USB-Sticks die Disketten ablösten, dass man immer neue Programme, oder leistungsfähigere Rechner brauchte, um die selben Arbeiten ausführen zu können, die man seit Jahren auch schon auf älteren Rechnern gemacht hatte. Gut es kamen auch neue Möglichkeiten hinzu, automatische Korrektur, raschere Bildbearbeitung, Diktieren ganzer Texte, Fernsehen am Rechner, oder Videobearbeitung. Aber es wurden auch Programme nötig, die man früher nicht brauchte, wie Firewall, Virenscanner, Verschlüsselung, SPAM-Filter. Und natürlich kosten die Zeit, Strom und Geld. Beim Hammer meines Großvaters passiert mir das nie.
Besonders problematisch ist, dass man beim besten Willen nicht mehr durchschaut, was der Rechner eigentlich macht. Nichts dagegen, dass er versucht zu lernen, was man von ihm möchte. Aber immer mehr geschieht im Hintergrund, von dem man nichts weiß und das man deshalb auch nicht unter Kontrolle hat. Kein Wunder, dass manche Rechner von Schadsoftware dominiert werden und sich als unfreiwillige SPAM-Schleudern betätigen. Wer weiß denn schon, an welche Seiten seine Daten weiter gegeben werden, wenn er eine Seite im Internet besucht? Wer mal „Noscript“ (verhindert, das andere auf meinem Rechner Skripte (Programme) ausführen) auf seinem Firefox-Browser installiert, wird erstaunt feststellen, wer alles seine Interessen mit verfolgen kann. Berühmt berüchtigt ist, dass auf vielen Seiten „Google-analytics“ Alles protokolliert, der Besucher das aber gar nicht, oder nur irgendwo im Kleingedruckten erfährt, obwohl das nicht korrekt ist. Was Google, oder Andere mit meinen Daten machen, erfährt man in der Regel nicht. Höchstens merkt man als Benutzer eines Mac, dass man stets Werbung für Macs zu sehen bekommt, während Windowsnutzer dort entsprechende Werbung für Microsoft finden. Beim Hammer meines Großvaters passiert mir das nie.
Wer halbwegs unbehelligt und zügig im Internet vorankommen will, muss Cockies auf das Nötigste beschränken, Popup-Blocker (verhindert das Öffnen weitere Fenster) und Werbeblocker nutzen, sowie vielleicht ein Programm, dass ihm signalisiert, ob irgend ein auf dem Rechner  installiertes Programm heimlich auf das Internet zugreift. Das mag nur dem Suchen nach einem „update“ dienen, kann natürlich auch ein Zeichen für einen von Schadsoftware infizierten Rechner sein. Beim Hammer meines Großvaters passiert mir das nie.
Die rasante Entwicklung führte auch dazu, dass ein Rechner oft schneller veraltet, als er steuerlich abgeschrieben werden kann. Und es bleibt ja nicht bei den 300 oder mehr Euro im Jahr, die man für einen neuen Rechner nach drei Jahren einkalkulieren muss, sondern die Kosten steigen erheblich, wenn neue Geräte und Sorftware durch einen Wechsel des Chips oder technischer Standards (SCSI →  USB, oder  PowerPC → Intel-Chip) nötig werden. Beim Hammer meines Großvaters passiert mir das nie.
Was an Zeit auf der Strecke bleibt, wenn man sich mit den neuen Geräten und der neuen Software vertraut macht, wenn man versucht alte Daten auf neue Rechner zu übertragen, oder alte Daten überhaupt noch lesbar zu erhalten, geschweige denn von der Marktbeobachtung und dem Verfolgen der technischen Entwicklung, oder dem Sichten unnötiger Mails, miserabler Webseiten, oder fragwürdiger Angebote voller Kleingedrucktem, das steht langsam in keinem Verhältnis mehr zum Nutzen des Rechners als schneller Rechenknecht. Wer an seine alten Daten heran kommen muss, ist gezwungen (ähnlich einem professionellen Archiv) alte Geräte zu horten, oder die Daten alle paar Jahre auf die dann üblichen Formate umzukopieren und zu sichern. Ein enormer Aufwand! Beim Hammer meines Großvaters passiert mir das nie.
Dass miese Bildschirme, z.B. die hochglänzenden und entsprechend spiegelnden, die meines Wissens in Deutschland an Arbeitsplätzen überhaupt nicht zulässig sind, die Augen ähnlich anstrengen, wie einst die schwarzen mit grüner oder bernsteinfarbener Schrift, dass die meisten ihre Computerbrille selbst zahlen müssen, dass das Stillsitzen vor dem Rechner mit starrer Kopfhaltung (weil man auf den Bildschirm schaut) und ständig gleicher Entfernung das Auge und die Muskulatur des Nackens und Rückens belastet, das wird geflissentlich übersehen. Ja, man hat schon die Schüler zur Arbeit am Computer verdonnert, damit die Industrie Umsätze macht und die Krankenkassen für die Schäden (etwa Übergewicht, Bewegungsarmut) aufkommen, statt dem Rechner als einer nützlichen, aber beschränkten Maschine eine dienende Rolle zuzuweisen.
Grade die Vielseitigkeit des Rechners führt zu einer immer größeren Abhängigkeit, die der IT-Branche unerhörtes Verhalten ermöglicht. Kein Autohersteller könnte es sich leisten, alle paar Monate oder Jahre den Motor kostenpflichtig auszutauschen, oder die Garantie so zu beschränken, dass sie versucht die gesetzlichen Mindestanforderungen zu unterlaufen. Das spricht nebenbei nicht für die Qualität der Produkte. Man kann fast als Faustregel formulieren: Je jünger ein Rechner, desto eher geht er kaputt. Berühmt berüchtigt ist auch das Verhalten der Softwarebranche, das als Bananenpolitik benamst wird: Reift beim Kunden! Beim Hammer meines Großvaters passiert mir das nie.
Es ist eigentlich seit über hundert Jahren bekannt, dass eine Technik um so eher Fehler aufweist, oder kaputt geht, je komplizierter sie ist. Ein Schuh mit wenigen Nähten hat weniger mögliche Schwachstellen, als einer, der ganz viele Nähte hat. Bei Software weiß man, dass etwa alle 1500 Zeilen ein Fehler drin steckt, deshalb wartet man besser, bis ein neues Programm durch die Mitarbeit der Benutzer von den gröbsten Fehlern befreit wurde. Beim Hammer meines Großvaters passiert mir das nie.
Eine überschlägige Kostenrechnung sieht so aus: 7 Rechner in 19 Jahren ergibt ca. 8000 Euro. Dazu Scanner, Drucker, Brenner, Laufwerke, Bildschirme (wenn Ersatz nötig war), Reparaturen, Router, Disketten, CD-, oder DVD-Rohlinge, USB-Stick, Kabel, externe Festplatte für Backup, Kartenleser, diverse Software, Fachliteratur, und Hunderte von Arbeitsstunden um die Geräte zu installieren, ihren Gebrauch zu erlernen, sie einzustellen und schließlich als Sondermüll wegzuschaffen. Schon ohne diese Arbeit dürften die Gesamtkosten bei über 10000 Euro liegen, also bei jährlich über 500 Euro, von Provider, Telefonrechnung, Stromverbrauch mal ganz zu schweigen. Geht man von nur 1 Stunde Wartung und Pflege im Monat aus (Backup, Updates, etc.) dann sind das bei Arbeitsplatzkosten von 50 € / h im Jahr noch mal 600 Euro! Und das auch nur, wenn das System einwandfrei arbeitet und keine Datenverluste auftreten. Kann man wegen eines Systemabsturzes nicht arbeiten oder muss tagelang Daten retten oder einen neuen Rechner einrichten wird es gleich viel teurer, als nur 1100 € im Jahr. Beim Hammer meines Großvaters passiert mir das nie.
Da ich nicht genau weiß, wann mein Großvater den Hammer erwarb, werde ich jetzt auf Verdacht seinen 100 Geburtstag feiern. Und ich werde ihn all meinen Rechnern zeigen, damit sie sehen, wie ein hervorragendes Werkzeug nach hundert Jahren aussieht. Aber auch, damit sie wissen, dass ich jeden von ihnen mit einem gezielten Schlag mit diesem Hammer ein für alle Mal außer Betrieb nehmen kann. Wobei diesen Schlag eigentlich jene viel mehr verdienen, die viel Geld dadurch verdienen, dass sie etwa in Asien Menschen solche Geräte unter miserablen Bedingungen und bei miesen Löhnen bauen lassen und uns dann für teures Geld verkaufen, weil wir gar nicht mehr einschätzen können, ob die dürftigen Angaben zu Technik und Qualität, oder Umweltfreundlichkeit zutreffen, oder nicht. Beim Hammer meines Großvaters passiert mir das nie.
 
 
Carl-Josef Kutzbach
Sonntag, 26. Februar 2012