Für dumm verkaufen?!
Wie Verbrauchern die Lust am Kaufen vermiest wird
 
Im Spätherbst 2006 besuchte ich den Armaturenhersteller Grohe in Schiltach. In ihrem Wasserlabor führten die Mitarbeiter verschiedene Duschköpfe vor, und wie diese die Wasserstrahlen in unterschiedliche Formen, mal Getröpfel, mal Regen, mal Wasserstrahl bringen. Dass dies in den allermeisten Fällen durch Düsen geschah, die aus Silikon bestehen und diese sich ähnlich einem angeschwollenem Insektenstich aus der Ebene des Duschkopfes erheben, wurde nur kurz angesprochen, als ich nach der Verkalkung fragte. Diese, wurde erklärt, ließe sich ganz einfach durch Abrubbeln beseitigen.
Früher bestand eine Dusche aus einem Metall-, oder Plastikgriff, in dem eine metallene Platte mit vielen Löchern das Wasser verteilte. Wenn diese Löcher vom Kalk verstopft wurden, löste man die eine Schraube, mit der die Metallplatte gehalten wird, legt die Metallplatte in verdünnte Essig – oder Zitronensäure, die den Kalk löst, oder man bearbeitet sie mit Bürste, Stahlwolle und zur Not Stecknadeln, um alle Löcher wieder frei zu bekommen. So konnte man sie Jahrzehnte lang benutzen.
Als bei einem Billiganbieter, der auch Kaffee verkauft, ein sehr großer runder Duschkopf angeboten wurde, den man zu dem so verstellen konnte, dass auch ein kräftiger Wasserstrahl zur Massage möglich war, konnte ich nicht widerstehen und erwarb diesen Dusch-Luxus. Natürlich probierte ich zunächst die verschiedenen Einstellungen aus, merkte aber dabei schon, dass sie sich nur schwer verstellen ließen, erst recht nicht mit nassen Fingern. Schon bald ließ ich die Dusche ständig so eingestellt, dass sie mich mit einer Art Sommerregen erfreute.
Beim Abduschen von Zimmerpflanzen und der anschließenden Reinigung der Badewanne, stellte ich erschrocken fest, dass bei heftigen Bewegungen schwarze Flocken aus dem Duschkopf kamen, wie sie zuweilen auch aus Wasserhähnen kommen, die mit nicht allzu hohem Druck betrieben werden, oder lange Zeit nur so betrieben wurden, wenn man dann mal stark aufdreht. Es handelt sich um eine Art schwarzen Belag in den Leitungen und Duschköpfen aus Kleinstlebewesen, über den die Wasserversorger ungern sprechen. Eine amerikanische Studie ergab 2009, dass etwa ein Drittel der Kunststoffduschköpfe regelrechte Bakterienschleudern sind.
Immer wieder rubbelte ich brav jene Duschdüsen, bei denen eine Verringerung des Wasserstrahls Verkalkung anzeigte. Dabei brach eines Tages die obere Hälfte der Kunststoffdüse ab. Andere Düsen folgten, so dass der Wasserstrahl immer ungleichmäßiger floss. Schließlich fiel an einer Düse der Rest des Kunststoffs heraus, so dass jetzt dort ein viel kräftigere Strahl entstand. Kurz: nach etwa 5 Jahren war die Funktion des Duschkopfes so stark beeinträchtigt, dass ich mich nach einem neuen Duschkopf umsehen musste.
Bei Besuchen in Baumärkten stellte ich fest, dass es fast ausschließlich nur noch Duschköpfe mit derartigen Kunststoffeinsätzen gibt. Der einzige Duschkopf mit einer Metallplatte gehörte zu eine auf  „nostalgisch“ gestalteten Dusch-Armatur, die einen dreistelligen Betrag kostete.
Kleiner Exkurs: Es gibt ungefähr 5000 Kunststoffe und es gehören sehr gute Kenntnisse dazu, den geeigneten Kunststoff für eine bestimmte Aufgabe zu finden und ihn richtig einzusetzen. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand der sich nicht auskennt, den falschen Kunststoff einsetzt, beträgt also etwa 1 zu 5000. Das trägt zum schlechten Ruf der Kunststoffe bei, ist aber nicht ganz gerecht, denn eigentlich ist nicht der Kunststoff, sondern der Hersteller schuld, der den falschen Kunststoff verwendet und den Kunststoff für einen Zweck einsetzt, für den er gar nicht geeignet ist. Hinzu kommt der Nachteil, dass sich die meisten Kunststoffe nicht reparieren lassen. Schon Kleben ist in vielen Fällen ein Problem, da es einige 1000 Kleber gibt von denen nur einer, oder ganz wenige für diesen speziellen Kunststoff geeignet sind. Es gibt aber auch Stoffe die sich gar nicht kleben lassen.
Nachdem ich mir eine erste Übersicht der auf dem Markt befindlichen über 1600 Duschköpfe verschafft hatte, kam ich zu dem Schluss, dass zwar vielleicht der eine oder andere Duschkopf wirklich mit dem geeigneten Kunststoff ausgestattet sein könnte, ich als Laie aber keine Chance habe das zu erkennen. Ich muss also damit rechnen, dass jeder neue Duschkopf nur wenige Jahre hält und dann weggeworfen werden muss und das bei Kosten zwischen 10 und über 500 Euro. Was einst als Fortschritt beim Duschen angepriesen wurde, nämlich die gezielte Formung des Wasserstrahl, seine Verstellbarkeit und das Wassersparen durch Hinzufügen von Luft, wird also von dem Nachteil begleitet, dass diese modernen Duschköpfe nur eine beschränkte Haltbarkeit haben. Der Verbraucher kann sie nicht selbst reparieren und spart nur wenig beim Aufwand für die Pflege. Dafür darf er alle paar Jahre einen zweistelligen Geldbetrag für die Ersatzbeschaffung ausgeben.
Nun ist es allerdings nicht so, dass das dem Verbraucher klar und deutlich mitgeteilt würde, geschweige denn hat er die Wahl. Nein, ihm wird – „das macht man heute so“ – suggeriert, dass er eine höhere Qualität zu einem selbstverständlich höheren Preis bekomme, obwohl es sich in Wahrheit um ein teures Wegwerfprodukt handelt.
Was tun? Wer nicht in der glücklichen Lage ist eine altmodischen Duschkopf aus Metall mit Metallplatte zu besitzen,, kann bei einem Installateur nachfragen, ob er noch irgendwo einen alten Duschkopf hat, ohne Kunststoffdüsen, den man selbst reinigen und reparieren kann.
Das Beispiel des Duschkopfes zeigt – wie bei vielen anderen Produkten – wie der Verbraucher für dumm verkauft wird. Statt eines Produktes, das ein Leben lang hielt, wirft ihm ein Produkt angeboten und verkauft das nur noch eine sehr beschränkte Lebensdauer hat, oder, wie im Falle von Computerprogrammen, Musik, aber auch Buchtexten nur so lange verfügbar ist, wie es die verkaufende Firma gibt, oder wie es ihr beliebt. Begründet wird das bei Software damit, dass man ja nur eine Lizenz erworben habe, aber kein physisches Gut. Es handelt sich also streng genommen bei Software nicht um einen Kauf, sondern um ein Eintrittsgeld oder eine Benutzungsgebühr. Sobald man sich das klarmacht, wundert man sich über die horrenden Preise, die eher bei einem Kauf gerechtfertigt wären.
Computer sind ein gutes Beispiel dafür, wie Waren mit beschränkter Nutzungsdauer für teures Geld an Verbraucher abgegeben werden. Das gleiche erlebt der Verbraucher aber eben auch bei Duschköpfen und allen möglichen anderen Geräten und Gegenständen des täglichen Lebens. Die Ausreden der Verkäufer, falls es der Kunde überhaupt für sinnvoll hält sich über die mangelnde Qualität zu beschweren, sind bizarr: „Das sind Büroschuhe! Die sind nicht zum Laufen gedacht!“ Die besagten Schuhe hatten die Form von Sportschuhen und waren nach 3 Wochen kaputt. Die Käuferin hatte sie im Alltag getragen. (Siehe auch: Haltbarkeit)
Beim Besuch mehrerer Baumärkte konnte ich feststellen, dass ein Teil der Geräte (Z. B. Handrasenmäher) so miserabel gestaltet ist, dass eine längere Nutzungsdauer von vornherein höchst unwahrscheinlich ist. Bezeichnend ist auch, dass bei Maschinen für Handwerker oder Industrie sehr wohl angegeben wird, wie viele Stunden diese Maschine arbeiten wird, ehe eine Überholung notwendig ist. In vielen Fällen ist bekannt, dass Maschinen für den Heimwerker so konstruiert sind, dass sie nur sehr viel weniger Stunden einwandfrei arbeiten werden, verrät das aber dem Verbraucher nicht.
Selbst wer ein verhältnismäßig teures Gerät bei einer Quelle kauft, die sich normalerweise um hervorragende Qualität bemüht, kann unliebsame Überraschungen erleben, wie etwa jener Kunde, der einen Spindelrasenmäher erwarb und als der streikte, diesen öffnete. Und siehe da: Das Getriebe bestand aus Kunststoff-Zahnrädern, die sich nicht reparieren ließen.
Es ist also ein Zustand erreicht, bei dem der Endverbraucher erhebliche technische Kenntnisse haben muss, um unter dem angebotenen Geräten eine vernünftige Auswahl treffen zu können. Genauso braucht er ein umfassendes Wissen auf dem Gebiet der Warenkunde, um erkennen zu können, ob die Ware ihr Geld wert ist. Wer nicht über diese Kenntnisse verfügt – und das ist die Mehrheit – wird für dumm verkauft und muss damit rechnen dass viele Waren, die er oder sie kaufen, nicht ihr Geld wert sind. Das gilt besonders für so genannte Schnäppchen. Aber da weiß man wenigstens, dass man meist nicht sehr viel Geld kaputt macht.
Was Hersteller und Handel zu diesem Betrug am Kunden verleitet, ist:
  1. 1.    das Wissen, dass die meisten Kunden nicht erkennen können, wenn sie minderwertige Ware vor sich haben.
  2. 2.    die Fixierung auf den Preis nach dem törichten Motto: „Geiz ist geil“.
  3. 3.    die gesättigten Märkte, bei denen es nur noch darum geht den Konkurrenten Marktanteile abzunehmen, statt die Bedürfnisse der Kunden zu befriedigen.
Was bewirkt diese Entwicklung?
  1. 1.    das Vertrauen des Kunden im Handel und Hersteller geht verloren.
  2. 2.    der Kunde hat das Gefühl überall und jederzeit hereingelegt zu werden.
  3. 3.    der Kunde hofft durch Schnäppchen seine Verluste klein halten zu können.
  4. 4.    der Fachhandel mit Beratung, die natürlich Geld kostet, wurde weitgehend verdrängt.
  5. 5.    der Kunde entwickelt keine Markenbindung mehr, weil er sich auch bei renommierten Marken nicht sicher ist, ob sie noch Qualität liefern.
  6. 6.    der Werbeaufwand um Kunden in ein bestimmtes Geschäft, oder zu einer bestimmten Marke zu locken, wächst erheblich.
  7. 7.    törichte Menschen, die davon ausgehen, dass der Schwund schon einkalkuliert sei, haben weniger Hemmungen in Läden zu stehlen, oder bei Garantiefällen zu betrügen.
  8. 8.    die Bemühungen um mehr Umweltschutz und nachhaltigere Nutzung von Waren und Gütern wird durch die geringere Haltbarkeit und Lebensdauer zunichte gemacht.
  9. 9.    die Verbraucher müssen öfter, als eigentlich nötig, Ersatz beschaffen, was mit vermeidbaren Wegen und Kosten verbunden ist.
  10. 10.    der Müllberg wächst viel schneller, als nötig.
  11. 11.die Enttäuschungen der Verbraucher und das Gefühl, dass man jederzeit damit rechnen muss, übers Ohr gehauen zu werden, schafft eine schlechte Stimmung, die bis hin zur Feindseligkeit gegenüber Marken und Händlern gehen kann.
  12. 12.spätestens wenn sich der Verbraucher oft genug geärgert hat, wird er nach Alternativen suchen, sei es, dass er Konsumverzicht übt, sei es dass er lernt, wie er die benötigten Gegenstände selbst herstellen kann.
Handel und Hersteller müssen damit rechnen, dass Ihr Verhalten dazu führt, das Verbraucher nicht nur schlechte Laune haben – und das ist keine gute Werbung – sondern, dass Verbraucher nach Möglichkeiten suchen einen Bogen um sie herumzumachen.
Wohin das führen kann zeigen die Läden, die ökologisch erzeugte und fair gehandelte Produkte anbieten. Die gesamte Biobranche ist ein einziges Misstrauenszeugnis für die konventionelle Lebensmittelerzeugung.
Jedes Textil mit einem Label, das verspricht dieses Textil sei umweltfreundlich und sozial verträglich hergestellt worden, ist eine Botschaft an jene Firmen, die zum Beispiel in Bangladesch oder Indien oder andernorts unter fragwürdigen Bedingungen produzieren lassen, dann hier die Knöpfe annähen und das ganze als „Made in Germany“ verkaufen und dabei einen erheblichen Gewinn einstreichen, der zu Lasten jener armen Menschen geht, die die Hauptarbeit geleistet haben. Das ist eine Form von Kolonialismus, die zwar keine Kanonenboote braucht, aber genau so viel Leid für die Menschen mit sich bringt. Dass die Politik diese "Etikettenschwindel" zulässt, stärkt logischer Weise auch nicht das Vertrauen der Wähler in die Gewählten.
Weder für Hersteller, noch für Handel und erst recht nicht für die Politik ist "Für-dumm-Verkaufen" eine nachhaltige Strategie, weil sie das Vertrauen zerstört. Und ohne Vertrauen funktioniert keine Freundschaft, keine Beziehung und ebenso wenig Wirtschaft, Handel und Politik.
 
Oben: Duschkopf von Tschibo nach einigen Jahren Benutzung.
 
Carl-Josef Kutzbach
Mittwoch, 12. Juni 2013