Die Pressefreiheit wird schleichend ausgehöhlt. Es begann vielleicht bei den Innenministern, die den einheitlichen Presseausweis nicht mehr als amtliches Dokument anerkannt wissen wollten. Früher hatte der Presseausweis, der jedes Jahr erneuert werden muss, auf der Rückseite einen Bahnpolizeilichen und einen Amtlichen Passierschein, die man sich bei den zuständigen Behörden abstempeln lassen konnte, um sich damit bei Unfällen oder anderen Ereignissen gegenüber der Polizei ausweisen zu können. Wörtlich hieß es: „Die Beamten der Bahnpolizei / Polizeibeamten werden gebeten die Aufgaben des Inhabers dieses Ausweises in jeder Weise zu erleichtern, insbesondere ihm bei Absperrungen Durchlass zu gewähren, sofern dies nicht aus zwingenden Gründen verweigert werden muss.“
Dahinter stand eine Vereinbarung zwischen den Innenministern und der Bahn, die es Journalisten, aber eben auch der Einsatzleitung am Ort ermöglichen sollte ohne aufwändiges Prüfverfahren, ohne Rückruf in der Redaktion, zusammen zu arbeiten, so weit es die Umstände zuließen. Wie oft dieser Teil des Ausweises genutzt wurde ist nicht bekannt, denn in vielen Fällen kennt man sich, braucht also gar keinen Ausweis. Nur wenn Journalisten überregional arbeiten, oder am Ort des Geschehens neu oder unbekannt waren, dürfte dieser Teil – den man ja vorher dafür von der Behörde abstempeln lassen musste - eine größere Rolle gespielt haben.
Ob nun als Folge der verschärften Sicherheitsmaßnahmen nach den Anschlägen auf das World Trade Center (Welthandelszentrum) in New York oder aus anderen Gründen, die Innenminister waren eines Tages nicht mehr bereit zu dieser Absprache. Damit entwerteten sie den Presseausweis als Hilfsmittel einer raschen und unabhängigen Berichterstattung. Ein Einsatzleiter, der den Journalisten nicht kennt, kann nun jederzeit behaupten, der Ausweis habe nicht echt ausgesehen, oder sei ihm nicht bekannt gewesen und schon kann es für den Journalisten schwierig werden gute Aufnahmen an einer Unfallstelle zu machen, weil er, wie die Schaulustigen, auf Distanz gehalten wird.
Bei der vom Verfassungsgericht gekippten Vorratsdatenspeicherung waren Journalisten nicht mehr unter den besonders zu schützenden Telefonbenutzern, deren Verbindungsdaten zum Schutz der Person nicht erhoben werden durften (Telefonseelsorge, Ärzte, Rechtsanwälte). Ob sie bei der Nachfolgeregelung wieder geschützt werden, ist fraglich.
Aber selbst wenn muss man nach den Erfahrungen bei der flächendeckenden Überwachung in Dresden damit rechnen, dass sich die Ermittler nicht daran halten würden. Journalisten, die also vertrauliche Gespräche führen wollen, die Informationen zugespielt bekommen, die brisant sind, müssen damit rechnen, dass ihre Verbindungsdaten erfasst sind und ausgewertet werden können. Das kann zur Enttarnung von Informanten führen, senkt also die Chance, dass sich jemand mit solchen Informationen an Journalisten, denen er vertraut, wendet.
Da auch einige Anbieter (Telekom, eplus und andere) die Daten viel länger speichern, als vom Datenschutz her zulässig und das mit der Abrechnung begründen, wird der Datenschutz auch auf diesem Wege ausgehebelt.
Ab 31. März 2013 können Journalisten auch nicht mehr den Mobilfunk im Katastrophenfall nutzen, wie 23000 andere Bevorrechtigte. Das Gesetz zur Neuregelung des Post- und Telekomunikationssicherstellungsrechts, das am 1. April 2011 in Kraft trat, sieht dieses Recht nur noch für Rundfunkveranstalter vor, nicht aber mehr für die Journalisten, die das Programm beliefern. Dass im Katastrophenfall die Kommunikationsinfrastruktur für Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienste, sowie die verantwortlichen Politiker frei gehalten werden soll, ist richtig, aber der Ausschluss der knapp 160 Journalisten, die überhaupt nur so eine Bevorrechtigung haben, ist ein weiterer Mosaikstein für die Geringschätzung der Informationsvermittler und der Bevölkerung, die gerade in Krisen gut und rasch informiert werden will.
Auch private Stellen beteiligen sich seit Längerem an der Aushöhlung der Pressefreiheit: Stars und Sternchen lassen über die Veranstalter den Journalisten Knebelverträge vorlegen, die sie unterschreiben sollen, wenn sie über ihren Auftritt berichten wollen. Fotografen etwa sollen jedes Bild nur einmal nutzen dürfen und dann die Bilder und die Rechte an den Star abtreten. Es hat bereits Boykott solcher Auftritte von Seiten der Medien gegeben. Aber damit fällt für diese Veranstaltungen auch die kritische Berichterstattung weg, die anscheinend gefürchtet wird.
Fußballvereine verbieten Journalisten heute Alles, was ihnen nicht genehm sein könnte. Z.B. ist der Aufenthalt für Journalisten, die berichten wollen, nur in bestimmten dafür ausgewiesenen Bereichen zulässig. Sich unter zahlend Publikum zu mischen ist z.B. beim FC St. Pauli selbst dann nicht erlaubt, wenn man seine Eintrittskarte selbst gekauft hat. Wer sich nicht daran hält, soll bis zu 3000 Euro Vertragsstrafe zahlen. Ob dieser Vertrag automatisch mit Betreten des Stadiums in Kraft tritt, ohne Wissen des Besuchers?
Wenn ein Journalist privat zu einem Fußballspiel geht und dort geschieht etwas, was er für berichtenswert hält – etwa die Lärmattacke bei 1899 Hoffenheim – dann dürfte er darüber nach Ansicht des Vereins nicht ohne Weiteres berichten, denn der Klub behält sich vor Artikel zu genehmigen.
Das Verblüffende ist, dass der Bundesgerichtshof dieses Vorgehen scheinbar billigt. Er stellte das Hausrecht und die kommerzielle Auswertung des Ereignisses über die Pressefreiheit, indem er einen Privatsender das Recht absprach unentgeltlich über Spiele des Vereins zu berichten.
Wenn man bedenkt, dass der Deutsche Fußball Millionen für die Übertragung seiner Spiele in Funk und Fernsehen kassiert, erscheint das Urteil zunächst einmal logisch. Der Haken dabei ist, dass die wirtschaftliche Verwertung einer Veranstaltung höher bewertet wird, als das Interesse der Öffentlichkeit an solider unabhängiger Information über die Veranstaltung. Der Gewinn für den Veranstalter ist wichtiger als die Information der Öffentlichkeit, selbst, wenn der Steuerzahler mit Millionen den Bau der Sportanlagen oder Hallen, die der Veranstalter nutzt, und die Zufahrtsstraßen, Busse, Bahnen und Polizisten finanziert hat.
Um die Brisanz dieser Rechtsprechung zu verstehen muss man sie einfach nur weiter denken: Wenn irgend wer irgend wo mit irgend etwas Geld verdient, dann kann er dafür Geld verlangen, dass darüber berichtet werden darf. Jeder Laden, jede Fabrik, jedes Café, Restaurant, Kaufhaus, ja jeder Kiosk oder jede Bahnhofstoilette könnte mit der Begründung, dass Geschäftsinteressen betroffen seien, die Berichterstattung behindern, oder sich den Beitrag zur Genehmigung vorlegen lassen. Damit wäre eine unabhängige Berichterstattung tot. Die Medien beschränkten sich auf Hofberichterstattung, denn Texte, die auf Mängel hinweisen, wird niemand genehmigen.
Unter diesem Blickwinkel erscheint die Privatisierung von Post, Bahn, Telekom und vielen ehemals staatlichen Betrieben noch in einem ganz anderen Licht. Behördenleiter waren gegenüber den Medien auskunftspflichtig. Als Privatbetriebe sind sie das nicht mehr. Das dürfte z.B. im Fall von Stuttgart 21 dazu beigetragen haben, dass die Bahn sich gegenüber den Medien zugeknöpft verhalten konnte und viele fragwürdige Vorgänge erst spät, oder gar nicht ans Licht kamen. Wenn es stimmt, was aus Bahnkreisen kolportiert wurde, dass nämlich die Bahn zu den Vorwürfen des Rechnungshofes sagt: "Das geht uns nichts an. Wir sind ein Privatunternehmen!", dann wurde mit der Privatisierung vieler Unternehmen nicht nur Tafelsilber (Besitzt und Reserven) verkauft, sondern diese Unternehmen auch der demokratischen Kontrolle entzogen.
Es gibt längst Leute, die die Medien als Selbstbedienungsladen sehen, dem man Pressemitteilungen zur Veröffentlichung übersendet. Teilweise funktioniert das ja bei Häusern, die zu wenig Geld für Journalisten ausgeben, und deshalb ihr Produkt möglichst kostenfrei füllen müssen. Aber die Demokratie braucht die unabhängige Information. Auch die von Parteien und Interessengruppen unbeeinflusste Berichterstattung, die die Machtverhältnisse und Interessen spiegelt und in Frage stellt. Nur dann kann sich der Bürger eine eigene Meinung bilden und sich für oder gegen etwas entscheiden, egal, ob beim Kauf, oder bei der Wahl.
Dabei sind die Journalisten besonders übel dran. Auf der einen Seite bekommen sie nach den letzten Tarifabschlüssen nicht mal einen Inflationsausgleich, aber Verlage, wie die WAZ erwirtschaften mit ihrer Hilfe bis zu 20% Rendite. Und der öffentlich rechtliche Rundfunk muss auf erhebliche dreistellige Millionenbeträge verzichten, weil der Gesetzgeber die Empfänger von Bafög und Hartz IV von den Rundfunkgebühren befreite (was man gut heißen kann), aber ohne den Sendern dafür einen Ausgleich zu zahlen. Auch so kann man die vom Gesetz vorgeschriebene Unabhängigkeit der Rundfunkanstalten unterlaufen, in dem man ihnen das Geld auf diesem Umweg weg nimmt.
Die Journalisten müssen heute in den meisten Redaktionen, oder als Freie Mitarbeiter mehr leisten, als noch vor wenigen Jahren, bekommen aber dafür weniger Zeit und Geld (Durchschnittseinkommen 2000-2500 brutto; ein Drittel verdient weniger als 1500 brutto im Monat). Das bedeutet: Auch die wirtschaftliche Seite ihrer Arbeit signalisiert ihnen: „Journalisten? Stören bloß!“
Dass dabei auch die Qualität sinkt, wundert wohl kaum. Eine Studie behauptet, dass keine der großen angesehenen Wirtschaftsredaktionen in den letzten zehn Jahren die Finanzkrise rechtzeitig erkannte, geschweige denn sie ihren Kunden richtig erklärte.
Dafür gibt es jede Menge Adrenalinstöße mit echten oder vermeintlichen Skandalen, Prominenten und Möchtegerns, sowie im Radio Wohlfühlprogramme und im Fernsehen Talkshows, Seifenopern und Spielfilme. Da haben kritische, gar nachdenkliche Beiträge, da haben Untersuchungen, die Missstände aufdecken oder auf Fehlentwicklungen hinweisen wenig Chancen. Das stört nur die „Durchhörbarkeit“ oder wird schlicht zu lang, weil man zu viel erklären muss. „Das mögen die Leute nicht“, heißt es dann. Also findet derartiges immer weniger statt. Die Einschaltquote („Einfaltsquote“, Matthias Richling) ist einer der Totengräber des Journalismus. Dass die Aufgabe des Journalismus in erster Linie nicht die Unterhaltung ist, sondern die Information über das, was gerade geschieht, wir dabei gern vergessen.