Ins Unglück geschoben
Bahnunfälle, wie der am 29.9.2012
Carl-Josef Kutzbach
Dienstag, 17. September 2013
 
    Als am Mittag des 29. September 2012 der IC nach Köln bei der Ausfahrt im Stuttgarter Bahnhof entgleiste, schob die Lokomotive die elf Wagons vor sich her. Der Lokführer saß am anderen Ende des Zuges im so genannten „Steuerwagen” und steuerte die Lok sozusagen fern.
    Es gab bereits vorher mehrere Unfälle, bei denen das Schieben eine Rolle spielte:
9.2.1971
    Der TEE Bavaria entgleist bei Aitrang im Allgäu in einer Kurve. 28 Menschen starben und Experten sahen eine Ursache für die Schwere des Unglücks (neben zu hoher Geschwindigkeit) darin, dass die Lok im sog. Triebkopf den Zug schob; auch dann noch, als die Wagons schon entgleist waren.
    Danach durfte der TEE-Bavaria und alle anderen Züge nur noch gezogen werden. So lautete jedenfalls die Absichtserklärung.
    Doch davon ist man längst abgekommen, denn zu verlockend ist die Idee einen Zug ohne Lokwechsel in beiden Richtungen fahren lassen zu können.
3.6.1998
    Auch beim schwersten ICE-Unfall in Eschede scheint* das Schieben an der Schwere des Unglücks beteiligt gewesen zu sein, als der ICE bei 200 km/h sechs Kilometer nach einem Radbruch beim Überfahren einer Weiche entgleiste und auch noch eine Brücke zum Einsturz brachte. 101 Menschen starben.
*(Da nach dem Zerreißen des Zuges der hintere Triebkopf abgeschaltet und eine Notbremsung vorgenommen wurde, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob er noch mit restlicher Antriebsenergie, oder allein auf Grund der Trägheit seiner Masse in die entgleisten Wagons hineinfuhr und diese zusammen drückte.)
    Nun weiß jedes Kind, das mal mit einer Eisenbahn spielte, dass ein geschobener Zug leichter entgleist, als einer der gezogen wird. Zieht die Lok, dann zieht sie eventuell entgleiste Wagons eher ins Gleis zurück, während beim Schieben die Wagons eher zur Seite hin ausbrechen. Das beruht vor allem auf Physik (Zug, Druck) und nicht auf der Bauart der Fahrzeuge.
    Das Bild zeigt, das die schiebende Lok meterweit neben dem Gleis gelandet ist, auf das sie den größten Teil des Zuges zuvor geschoben hatte.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
    In Stuttgart scheint noch ein zweiter Fehler das Unglück begünstigt zu haben, nämlich eine S-förmige Gleisführung. Wenn ein Wagon eine Rechtskurve fährt, ragen Anfang und Ende des Wagons etwas nach Außen über das Gleis hinaus und dem entsprechend auch die Puffer. Bei einer Linkskurve ist es umgekehrt. Deshalb vermeidet man es normalerweise direkt nach einer Kurve eine Gegenkurve anzuschließen, sondern baut eine kurze gerade Strecke ein. Dadurch vermeidet man, dass die Puffer der Wagons soweit nach recht und links ausschwenken, dass sie sich verhaken können, was zum Entgleisen führen kann, sobald es wieder geradeaus geht. Da man in Stuttgart Platz sparen wollte, um die Bahnsteige gute 100 Meter weiter vorziehen zu können, verzichtete man offenbar auf dieses wichtige kurze gerade Stück Gleis.
 
 
 
 
 
 
 
 
   (Der rote Pfeil zeigt die kritische Stelle.)
    Es könnten also bei diesem Unfall, der sich ja beim Experiment an derselben Stelle später wiederholte, gleich zwei gefährliche Faktoren eine Rolle gespielt haben:
1.) das fehlende Stück gerades Gleis zwischen zwei gegenläufigen Kurven.
2.) das Schieben des Zuges, das einen eventuell entgleisten Wagon nicht in die Nähe des Gleises zieht, sondern seitwärts weg drückt.
    Das Eisenbahnbundesamt hat angeblich an dieser Stelle das Schieben von Zügen verboten und langsame Fahrt angeordnet. Aber warum nur hier, wenn doch bekannt ist, dass Schieben ein höheres Risiko mit sich bringt, als Ziehen?