Mitte Mai haben mehrere große Printmedien (u.A. Spiegel, Zeit, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zetung) diejenigen Internetnutzer angesprochen, die durch einen entsprechende Software (Adblocker) die Werbung auf den Seiten dieser Publikationen ausblenden, um sich ganz auf die Inhalte konzentrieren zu können und nicht von aufspringenden Fenstern, Musik, Videos, Geräuschen, Geblinke und Gezappel vom Lesen ablenken zu lassen.
In der Süddeutschen wandte sich sogar der Chefredakteur an die Leser:
Das ist insofern bemerkenswert, weil seriöse Medien normalerweise auf eine strikte Trennung von Redaktion und Werbung achten. Es muss also schon ein erhebliches Problem geben, wenn sich ein Chefredakteur vor den Karren der Werbung spannen lässt. Der Pressekodex fordert:
7. Trennung von Werbung und Redaktion
Redaktionelle Veröffentlichungen dürfen nicht durch private oder geschäftliche Interessen der Journalisten, Verleger oder Dritter beeinflusst werden. Auf eine klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Werbung ist zu achten.
Ziel dieser Initiative ist es, die Wirtschaftlichkeit des Online-Angebots zu sichern, erklärten sie gemeinsam. Dazu muss man wissen, dass das Internet die technischen Möglichkeiten bietet die Werbung auf den Benutzer gezielt zuzuschneiden. So erhält ein Windows-Rechner andere Werbung, wie ein Apple-Rechner, wenn es um Computerwerbung geht. Da manche Webseiten auch verfolgen, von welcher Seite der Benutzer kommt und wohin er geht, kann dieses Wissen mit den Daten verknüpft werden, die der Webseiten-Betreiber sowieso erfasst, also, wie lange der Benutzer auf welchen Seiten und bei welchen Themen verweilt. Daraus wird dann ein Profil des Benutzers erstellt und passende Werbung eingeblendet. Man kann also sagen, dass Webseiten die Benutzer ausspionieren, um ihnen dann entsprechende Werbung zu zeigen. Und das geschieht nicht nur vom Webseiten-Betreiber, sondern durch entsprechende Dienstleister, die ihr Wissen über die Webseiten-Benutzer sammeln. Und erst recht wird erfasst, wer auf welche Werbung reagiert und wer welche Anzeigen anklickt. Dazu werden im Hintergrund Verbindungen auch zu Seiten aufgebaut, die der Benutzer gar nicht aufgerufen hat und von denen er nichts erfährt, wenn er sie nicht durch entsprechende Programme blockiert und sichtbar macht. Allerdings muss nicht hinter jeder Weiterleitung eine fragwürdige Absicht stecken. Das kann man allerdings nur im Einzelfall erkennen, wenn man untersucht wohin man weiter geleitet wird, oder eine Weiterleitung von der eigenen Zustimmung abhängig macht.
Das ist eine Liste der Seiten, die beim Aufruf einer Seite der Süddeutschen Zeitung Skripte ausführen möchten und vom Addblocker daran gehindert wurden. Darunter bekannte, wie Google, Facebook, Twitter und Unbekannte, deren Name dem Laien nichts sagt:
Wer solche Weiterleitungen und Programme, die im Hintergrund arbeiten blockiert, kann manchmal einige Elemente der jeweiligen Webseiten nicht nutzen. Bekanntestes Beispiel dürfte wohl sein, wenn in eine Webseite ein Video eingefügt wurde, das auf Youtube steht und zu dem die Seite weiterleitet, wenn man es anschauen möchte. Nur wenn man derartige Skripte, Weiterleitungen und Programme blockiert landen weniger Daten des Benutzers auf dieser Seite und bei den Betreibern dieser und der verlinkten Seiten.
Zurück zur Werbung. Dass die Werbetreibenden gerne wissen möchten, wer, wie lang welche Werbung betrachtet, ist verständlich. Dass die Verlage daran ein Interesse haben, liegt daran, dass sie ihre Online-Auftritte weitgehend durch Werbung finanzieren. Und die Werbetreibenden zahlen um so mehr, je mehr Leser erreicht werden (man spricht von „Reichweite“). Eine Garantie, dass die Leser die Werbung beachten und betrachten, gibt es allerdings weder im Internet, noch bei den klassischen Medien. Schon Henry Ford wusste, dass die Hälfte seiner Werbeausgaben eigentlich zum Fenster hinaus geworfen war, aber, wie er damals klagte, niemand wusste, welche Hälfte. Insofern ist der Versuch im Internet nur denjenigen Nutzern eine Werbung zu zeigen die sich dafür interessieren dürften, keine schlechte Idee. Auch, wenn sich das natürlich nicht 100-prozentig durchhalten lässt. Man muss sich dabei auch klar machen, dass die Übertragung der Werbung zum Bildschirm des Betrachters auch Energie benötigt. Also schon gezieltere Werbung auch die Umwelt. Allerdings schont, wer die Werbung blockiert ebenfalls die Umwelt und seine Nerven, wie Leserbriefschreiber Diddi in der Stuttgarter Zeitung beschrieb:
„Kostenlos, leben von Werbung… alles richtig. Daher habe ich auch lange durchgehalten und auf werbe Blogger verzichtet. So lange, bis es immer mehr gnadenlos übertrieben haben. Ungefragt wurden Videos geladen und abgespielt. Rollbanner kamen von den Seiten. Pop-Up-Fenster, die so gestaltet waren, dass man das “X“ zum Schließen nicht mehr gefunden hat. Immer häufiger musste man warten, weil sich die Seite aufgehängt hat. Und zum Dank sammelten die Werbebanner die aberwitzigsten Daten von mir. Schließlich habe selbst ich mich für Adblock plus entschieden. Und, wow, die Inhalte, die ich sehen will, sind nicht mehr verdeckt, die Ladezeiten ein Traum. Und jetzt appellieren genau diejenigen, die es mit Nerven der Werbung gnadenlos übertrieben haben? Nein danke. Ich habe mich entschieden. Und ich werde mich sicher nicht um entscheiden…“
Und "Werbeblocker" schrieb:
„Wenn sich die Werbetreibenden auf eine weniger aufdringliche Art der Einblendungen beschränken würden, könnte man dem Aufruf folgen. D.h., keine blinkenden, zappelnden und funzelnden Anzeigen und keine dieser Banderole genannten Seitenaufprallblöcke, bei denen man den "Schließen"-Button erst noch mühsam suchen muss. Derart belästigt will ich nicht Zeitung lesen.“
Die beiden Leserbriefschreiber zählen fast alle unerwünschten "Nebenwirkungen" der Werbung auf:
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1. Übermaß: "...gnadenlos übertrieben"
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2. Entmündigung: "Ungefragt wurden Videos geladen und abgespielt.
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3. Behinderung: "so gestaltet..., dass man das “X“ zum Schließen nicht mehr gefunden hat"
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4. Zeitverlust: "Immer häufiger musste man warten"
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5. Störung: " weil sich die Seite aufgehängt hat"
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6. Datenklau*: "sammelten die Werbebanner die aberwitzigsten Daten von mir"
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7. Belästigung: "Derart belästigt will ich nicht Zeitung lesen."
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*Der Begriff "Datenklau" ist nicht ganz korrekt, weil die meisten Seiten irgend wo in den Nutzungsbedingungen versteckt schreiben, dass man durch das Aufrufen der Seite diesen Bedingungen zustimmen und darunter fällt auch das Sammeln und Weitergeben von Daten. Das mag juristisch korrekt sein, aber man stelle sich vor, dass jemand auf den Badezimmerspiegel schreibt: "Wer diese Wohnung betritt wird automatisch Sklave des Wohnungsinhabers". Da man diese Information nicht lesen kann, ohne die Wohnung zu betreten, dürfte der Wohnungsinhaber damit wohl nicht durchkommen. Im Grunde müssten die Seitenbetreiber auf der ersten Seite, die man aufruft, warnen: "Achtung, Sie Betreten vermintes Gelände, auf dem sie einen Teil ihrer Rechte verlieren können! Wir übernehmen keine Haftung!"
Im Alltag schaut man sich nicht erst das Impressum oder das Kleingedruckte an, sondern interessiert sich für die Inhalte der Webseiten, also in diesem Fall die neuesten Nachrichten. Wenn aber ein erheblicher Teil der Benutzer gar nicht weiß, dass seine Daten gespeichert und verkauft werden, dann ist das aus seiner Sicht Diebstahl, den er hat dem ja nicht wissentlich zugestimmt. Seriöses Geschäftsgebaren sieht anders aus.
Unerwünschte Werbung belastet nicht nur die Umwelt, sondern erfordert auch die Zeit des Empfängers. Das ist im Internet genau so, wie am Briefkasten, wo auch immer mehr Leute mit einem Aufkleber signalisieren, dass die Werbung sie verschönen möge. Briefkastenhersteller haben bereits darauf reagiert und bieten Briefkästen mit zwei Fenstern an, eines für den Namen und eines in dem man sich für oder gegen Werbung entscheiden kann.
Wie viele Briefkästen mit Schildern versehen sind, die Werbung ablehnen, ist nicht bekannt, aber die Aufkleber gibt es fast in jedem Schreibwarengeschäft. Für die Online-Werbung verraten die beteiligten Unternehmen in einer Stellungnahme:
...gegenwärtig verhindern Adblocker bei rund 25 Prozent aller Seitenaufrufe auf Nachrichten-Websites, dass Werbung ausgeliefert wird.
Das bedeutet etwa ein Viertel weniger Werbeeinnahmen. Zur Erinnerung: Die Internetseiten der Medien, so genannte Online-Dienste finanzieren sich größtenteils durch Werbung. Der Werbetreibende bezahlt je nach Reichweite (also erreichte Leser) mehr oder weniger viel. Wird die Werbung unterdrückt, zahlt der Werbetreibende weniger.
Der Spiegel meint bis zu einem Viertel der Umsätze einzubüßen. Das kann, muss aber nicht stimmen, denn wer Seiten ohne Werbung sucht, findet sie etwa beim Deutschlandradio und auf vielen Seiten der ARD (Die ARD unterliegt Werbebeschränkungen und hat ebenfalls Einnahmeausfälle von über 900 Millionen, da Studierende und Empfänger von Unterstützungen sich von der Rundfunkgebühr befreien lassen können.)
Wer also lästiger Werbung entgehen will und sich dennoch qualifiziert informieren möchte, hat dazu Gelegenheit. Es könnte also sein, dass die Einbußen geringer sind, weil von Werbung belästigte Benutzer bereits jetzt zu Seiten abgewandert sind, die weniger oder gar keine Werbung haben.
"Wir haben bei Süddeutsche.de in den vergangenen Jahren Werbeflächen nach dem Prinzip reduziert: lieber größere, attraktivere Anzeigen als viele kleine blinkende. Grob gesagt, haben wir heute halb so viel Werbung auf der Seite wie vor zwei Jahren und trotzdem keine Einbußen."
Man kann also den Preis für die Werbung auch erhöhen, wenn man die Werbefläche rar macht und ein Umfeld bietet, in dem manche Firma unbedingt werben möchte, etwa, weil sie ihre Kundschaft unter den Lesern weiß.
Um genau zu beziffern ob und wie hoch die Einnahmeausfälle sind, müsste man auch wissen, wie viele Benutzer von der aufdringlichen Werbung vertrieben wurden, weil sie nicht über das technische Wissen verfügen, um die Werbung gezielt auszublenden. Und wie war das früher?
Werbung und Medien im Wandel
Beim Entfernen einer Holzverkleidung kamen alte Zeitungsseiten zum Vorschein, die auch werbende Anzeigen enthielten. Der Ton war bescheiden, zurückhaltend, freundlich und nicht aufdringlich. „Wir beehren uns dem verehrten Publikum anzuzeigen, dass...“ und dann folgte ein Angebot eines Wirtshauses, oder eines Lieferanten. Fast immer war von der angebotenen Qualität und dem angemessenen aber dennoch günstigen Preis die Rede. Und oft davon, dass man sich freuen würde, wenn die verehrten Leser auf dieses Angebot zurückkommen, oder es einer Prüfung unterziehen wollten. Kurzum: Die Umworbenen wurden freundlich in gepflegter Sprache über ein Angebot informiert und dessen Beschaffenheit und Qualität beschrieben.
Natürlich war die Sprache altertümlich und ungewohnt, aber wesentlich bemerkenswerter war der Ton, der den Umworbenen in seiner Entscheidung frei ließ, nicht drängte, nicht durch Superlative übertriebene Erwartungen weckte und schon gar nicht die Werbebotschaft durch zig Zeilen Kleingedrucktes wieder zurück nahm. Kurz, die Werbung verhielt sich, wie ein Verehrer, der hofft einen guten Eindruck zu machen und erhört zu werden.
Als nach dem zweiten Weltkrieg die USA beinahe in Geld schwammen, weil sich viele andere Kriegführende Länder bei ihnen verschuldet hatten, wurde Konsum schon fast zu einer Bürgerpflicht. Entsprechende Werbung wandte sich nicht mehr an den Verehrten Kunden, sondern wurde, wie es Vance Packard 1957 in seinem Buch "Die geheimen Verführer" beschrieb. Bezogen auf die Politik gibt es darin auch ein Kapitel: "Der manipulierte Bürger". Amerikanische Wahlkämpfe demonstrieren das regelmäßig. Auch, wenn sich eine von Packards Quellen später als unglaubwürdig erwies, so hatte er doch einen Trend beschrieben, der sich fortsetzte. In Wikipedia heißt es dazu, dass er:
...den „Griff nach dem Unbewußten in jedermann“ durch Psychologen und Marktforscher am Beispiel der Werbeindustrie dokumentierte.
Diese Publikation beeinflusste in den späten 1960er-Jahren auch die Studentenbewegung in Deutschland erheblich: Sie forcierte deren Kritik am sog. Konsumterror.
Und heute?
Heute verfolgt einen die Werbung in fast allen Lebensbereichen, nicht mehr nur morgens in der Zeitung, oder im Radio, sowie von Plakatwänden, Litfasssäulen und Firmenschildern, sondern ganze Hausfassaden werden zu Werbeflächen, Autos, die mit Werbung gepflastert sind, stehen am Straßenrand, Schaufenster werden mit Werbung zugeklebt.
Wozu hat man denn dann an dieser Stelle Fenster eingebaut, die normalerweise Licht und Blicke hindurch lassen? Flugzeuge schleppen im tiefen Flug mit lautem Motor (damit man nach oben schaut) Werbebanner durch den Himmel (siehe oben). Busse und Bahnen sind teilweise vollständig mit Werbung (und Graffiti) bedeckt und auch innen werben Plakate, Faltblätter und Werbeblätter, die an den Haltestangen hängen. Ja sogar die Bildschirme mit Informationen für die Fahrgäste werden auch zu Werbezwecken genutzt. Telekommunikationsanbieter versuchen sogar ihre Schaltkästen am Straßenrand für Werbung zu nutzen. Bei Kulturveranstaltungen werden immer öfter die Sponsoren genannt und wenn diese wegfallen (Varieté in Stuttgart, Schlossfestspiele Ludwigsburg), dann ist die Existenz der Veranstaltung gefährdet.
In Wahlkämpfen werden die Orte mit in der Regel nichts-sagenden Plakaten vollgestopft und auch Demonstranten versuchen mit Aufklebern ihre Anliegen publik zu machen.
Zugleich haben sich die Inhalte gewandelt. Der Kunde wird geduzt, ja manchmal geradezu angeschrien, ihm werden Verhaltensmaßregeln erteilt: "SWR 1 gehört gehört!", Werte eingebleut: "Geiz ist geil!", der Egoismus beschworen (Postbankwerbung, bei der stets die Buchstabengruppe "ich" farblich hervorgehoben ist). Materialpflege oder Nachhaltigkeit wird las altmodisch abgelehnt (Sneakers), fragwürdige Verhalten gepredigt: (Schuhe auf den Tisch), und das Ego gestreichelt: "Ich bin doch nicht blöd!"
Radiohörer beschwerten sich immer wieder, weil die Werbung viel lauter gesendet wurde, als das restliche Programm und in vielen Sendern werden Krimis just da für Werbung unterbrochen, wenn es am spannendsten ist und der Zuschauer ja nichts verpassen möchte. Fußballer und andere Sportler tragen Werbung und die Banden, die zwangsläufig mal ins Bild geraten, sind ebenfalls - neuerdings sogar mit wechselnder - Werbung tapeziert.
In Lokalen liegen nicht nur Werbeprospekte vor den Toiletten, sondern auch Werbepostkarten, die versuchen witzig oder zweideutig Aufmerksamkeit zu erringen. Autofahrer die an Ampeln halten müssen, werden von riesigen Bildschirmen mit Werbung bombardiert.
Weil die Plakatwände offenbar noch nicht genügen, hat man einige so aufgerüstet, dass sie mehrere Plakate jeweils für ein paar Sekunden zeigen. Dass diese kurze Zeit niemals ausreicht, um das Kleingedruckte zu lesen, dürfte den Werbenden gar nicht so unrecht sein, denn dann merkt er nicht, dass der verlockende groß geschrieben Preis dort durch zusätzliche Kosten in die Höhe getrieben, oder die Leistung erheblich eingeschränkt wird. In Büchern gab es mit Ausnahme von rororo-Taschenbüchern lange Zeit keine Werbung. Aber bei den digitalisierten Büchern, die Google, Amazon und Andere anbieten, soll Werbung im Text Geld verdienen. Wer das nicht will, kann sich bei Amazon für 15 Dollar von der Werbung freikaufen. Kurzum die Werbung ist zu einem lauten, grellen Verfolger geworden, dem man selbst mit Aufklebern am Briefkasten kaum entgeht. Vor allem Parteien, Pizzaservice, Immobilienmakler, Gärtner und Umzugsfirmen missachten das Werbeverbot häufig, wobei die Politiker bei Beschwerden treuherzig verkünden, man habe doch bloß informieren wollen. Ja, was macht Werbung denn anderes? Ursprünglich nicht, aber um an jeden Konsumenten die Werbung zu bringen, die bei ihr oder ihm wirken könnte, werden mittlerweile fragwürdige Dinge unternommen:
Der gläserne Bürger
Zum Beispiel die Spielkonsole xbox, von der der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar sagt: "Unter der Überschrift ,Spielgerät' drückt Microsoft ein Überwachungsgerät in den Markt". Das Gerät dient nur unter Anderem zum Spielen. Es wird durch Gesten oder Sprachbefehle gesteuert und erlaubt durch Kamera und Mikrophon (wie viele moderne Rechner auch) zu erfassen, was vor dem Gerät geschieht. Dass es dabei nicht nur darum geht auch andere Geräte, wie Fernseher, Videoaufzeichnungsgerät oder Verstärker zu steuern, sondern das Gerät auch der Marktforschung dienen soll, pries ein Firmenvertreter bei der Vorstellung als Vorzug: "wir wissen, was die Leute beschäftigt. Wir können sie abstimmen lassen und ihre Stimme in den kreativen Prozess einspeisen". Dazu wird das Gerät die Gesichter der Leute erfassen und sie mit ihren Vorlieben und Fähigkeiten (bei Spielen) verknüpfen. Peter Schaar kritisiert: "Die Xbox registriert ständig alle möglichen persönlichen Informationen über mich. Reaktionsgeschwindigkeiten, meine Lernfähigkeit oder emotionale Zustände. Die werden dann auf einem externen Server verarbeitet und möglicherweise sogar an Dritte weitergegeben. Ob sie jemals gelöscht werden, kann der Betroffene nicht beeinflussen."
Die Firma kann also von jedem, der jemals vor eine eingeschaltete xbox kam, ein Daten erfassen und diese irgendwo als Profil speichern, ohne, dass diese Person dem zustimmte, geschweige denn weiß, was da über sie gespeichert wurde und wer Zugriff auf diese Daten hat. Wenn man bedenkt, dass Kunden nur auf Grund ihres ausländisch klingenden Namens, oder weil sie im "falschen" Viertel wohnten bei Banken und Versicherungen schlechtere Konditionen erhielten, dann verleiten derartig intime Datensammlungen erst recht zum Missbrauch.
Ein fiktives Beispiel: Ein Bankmitarbeiter, der den ganzen Tag im Anzug rumläuft, macht es sich abends vor der Glotze bequem, trägt ausgebeulte Hosen, T-shirt oder Schlabberpulli. Und weil er den ganzen Tag über korrekt zu sein hat, schaut er gerne Filme, in denen getrickst, gemogelt und gelogen wird, oder spielt Spiele in denen man hohe Risiken eingeht. Kurz er zeigt ein Verhalten, dass er im Beruf nie zeigen würde, dass aber durchaus nützlich sein könnte, um derartiges Verhalten bei unredlichen Kunden zu erkennen. Wechselt er die Stelle, könnte ihm der zukünftige Arbeitgeber aber auf Grund seines Verhaltens vor dem Fernseher als ungeeignet einstufen, weil er sich in der Freizeit (vor der xbox) ganz anders verhält.
Da der Benutzer des Gerätes nicht weiß welche Daten erfasst werden und wo die landen, fürchten einige, dass sogar die Gespräche der Anwesenden über das Mikrophon ausspioniert werden könnten, denn das muss auch im Standby-Betrieb eingeschaltet sein, damit man die Anlage durch einen gesprochenen Befehl einschalten kann. Peter Schaar hält diese Sorge für übertrieben.
Es gibt bereits ein Patent, dass es auch erlauben würde die Preise für das Herunterladen eines Filmes danach zu staffeln, wie viele Menschen sich vor dem Gerät befinden.
Was anfangs noch recht vernünftig schien, nämlich nur demjenigen eine Werbung zu zeigen, für den sie auch interessant sein könnte (und die anderen damit nicht zu belästigen), hat sich zur Verfolgung und Analyse jeder Person entwickelt, die auch nur in die Nähe eines derartigen Gerätes kommt.
Abgesehen davon sind alle Techniken, die verschiedenen Menschen verschiedene Welten vorgaukeln, egal ob Google, oder Internet-Werbung, oder xbox insofern fragwürdig, als sie die Gemeinsamkeiten einer Gesellschaft verringern. Wenn man nicht mehr dasselbe erlebt, fällt es schwerer darüber zu sprechen, sich zu einigen und die Ansichten der anderen gelten zu lassen. Derartige Techniken tragen zur scheinbaren Zersplitterung der Welt und zum Gefühl bei, man verstünde immer weniger.
Abhängigkeit der Medien von Werbung
Die erste Hamburger Tageszeitung, der "Hamburger Correspondent" erschien ab 1724 und verzichtete auf Werbung, obwohl er lange Zeit Europas meistgelesenes und einflussreichstes Blatt war. Auch Cottas "Allgemeine Zeitung" ab 1789 in Stuttgart, später in Ulm und Augsburg gedruckt, verzichtete anfangs auf Werbung und Kleinanzeigen, obwohl Cotta sehr geschäftstüchtig war. Zur Abhängigkeit der Meiden von der Werbung kam es erst später. Der Bremer Pressehistoriker Prof. Holger Böning:
Die Medien waren nicht immer abhängig von Werbung, das entwickelte sich so richtig erst im 19. Jahrhundert und ist neben den Besitzverhältnissen an den Medien in der Tat eines der Hauptprobleme eines unabhängigen Journalismus.
Engagierte Zeitungen, wie die taz oder deren Beilage Kontext Wochenzeitung, versuchen sich durch Abonnements, durch Spenden und die Solidarität ihrer Leser finanziell über Wasser zu halten. Dabei sind trotz Rückgang der Werbung in Tageszeitungen viele Blätter immer noch "eine Lizenz zum Gelddrucken" und erreichen Renditen von bis zu 20 % oder mehr. Nur die Blattmacher, die Journalisten und Mitarbeiter bekommen davon wenig bis nichts ab, sondern werden - weil man angeblich sparen muss - entlassen, in nicht tarifgebundene Subunternehmen oder Ausgründungen versetzt, sollen aber nicht nur das Blatt, sondern auch die Auftritte in Internet, Facebook, Twitter (und wer weiß was noch alles kommt) nebenher erledigen. Selbst in Städten, die wegen ihrer zwei oder mehr Medien gut dastanden, wie Stuttgart, ähneln sich die zwei Blätter aus demselben Hause immer mehr, weil Redaktionen zusammengelegt und Journalisten eingespart werden. Werben kann man schon seit Jahren nur in beiden Blättern zugleich. Aber der Verlag hatte genügend Geld um für einen hohen dreistelligen Millionenbetrag die Süddeutsche zu kaufen. Und die Verlagsgesellschaft ist derartig verschachtelt, dass dem Laien schwindelig wird. Wozu das wohl gut ist? Steuern sparen? Verantwortung verschleiern?
Wenn heute vor Allem von Printmedien der Rückgang der Werbeeinnahmen beklagt wird, die zum Teil ins Internet abwanderten, wo die Verlage ebenfalls tätig sind und durchsetzen konnten, dass die ARD ihre mit Gebühren erzeugten Inhalte nicht genau so lang zeigen darf, wie die Verlage, dann ist das zwar zum Teil richtig, aber nicht immer redlich, denn der Werbekuchen wächst. Zur Zeit werden rund 23 Milliarden für Werbung in Medien ausgegeben. Das ist ein Vielfaches dessen, was für den Bundestag oder die Länderparlamente ausgegeben wird. Das, was davon im Internet landet sind immer noch relativ kleine Beträge. Aber die Masse macht auch sie interessant. Sonst hätten die großen Blätter nicht die Kampagne gestartet, in der die Nutzer dazu aufgefordert werden die Werbung ihres Blattes nicht zu blockieren.
Daraus lassen sich drei Schlüsse ziehen:
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1. Werbung ist zu einem aufdringlichen Verfolger geworden, der - anders als ein Verehrer - kaum noch eine Chance auf Wohlwollen und Erhörung erwarten kann.
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2. Die Medien müssen sich Finanzierungsmodelle einfallen lassen, die sie aus der Abhängigkeit der Werbung befreien, wenn sie ihre Glaubwürdigkeit nicht völlig aufs Spiel setzen wollen.
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3. Werbung ist ein Machtinstrument, das heute aber kaum einer wirksamen Kontrolle unterliegt und munter gesellschaftsschädliche oder falsche Botschaften (Pharma- und Gesundheitswerbung) verbreiten kann, für deren Auswirkungen dann die Allgemeinheit bezahlen darf.